Kein Wort mehr ueber Liebe
erinnert, wie sie mit dreizehn und wie sie mit dreißig war. Später, aber das weiß sie noch nicht, wird es sie auch daran erinnern, wie sie mit vierzig war. Nach einem Titel von Radiohead ist Thomas außer Atem. Er hat Louise allein gelassen und sitzt auf einem Barhocker. Sie wirbelt in den Armen eines großen Blonden herum, ihr Rock schwingt hoch. Louise hat ein wenig getrunken.
Der große Blonde heißt Boris, und Thomas hat mitbekommen, weil er es mitbekommen sollte, dass er eine Talkshow im Kabelfernsehen moderiert. Er ist ein eher hübscher Bengel,sportlich, mit telegenem Haarschnitt. Ganz sicher der Mann, den man an diesem Abend nicht verpassen darf. Er interessiert sich sehr intensiv für Louise. Als sie sich eben unterhielten, schaute Boris sie an, die Schultern zu ihr gewendet, mit leicht geneigtem Kopf und rasch mit den Augen zwinkernd; zweimal senkte er den Blick. Ohne Mühe hat Thomas darin die instinktiven Codes der Verführung erkannt, wie sie von den Verhaltensforschern beschrieben worden sind. Was Louise betrifft, so ist sie nicht ganz unempfindlich für seine Avancen. Die für sie typische Geste, mit der sie eine Haarsträhne zurückstrich, verrät ihre Anspannung.
Sie tanzen, und Boris drückt sie an sich, streichelt sie. Bei jeder Bewegung hebt sich Louises Bluse und legt ihre Haut frei, und Boris legt seine Hand auf ihre Hüfte, um sie herumzudrehen. Thomas macht die Erfahrung einer beinahe physischen Eifersucht, die er bislang nicht an sich gekannt hat. Als der
Crocodile Rock
zu Ende ist und Boris sie um einen weiteren, weniger wilden Tanz bittet, tritt Thomas lächelnd dazwischen:
– Sie gestatten? Ich leihe mir für die Dauer eines Tanzes meine Frau aus.
Der große Blonde spielt den Erstaunten, verneigt sich aber, indem er Louises Hand küsst, und verschwindet Richtung Bar. Louise hat ganz rosige Wangen vom vielen Tanzen. Sie fällt im ermattet ihn die Arme, legt ihren Kopf auf seine Schulter:
– Ich habe dich noch nie als besitzergreifenden Macho erlebt.
– Ich gebe zu, dass es mir langsam auf die Nerven ging, dabei zuzusehen, wie er dich befummelte. Und es hat mirauch gereicht, wie überdreht du hier mit dem Hintern wackelst.
Louise weicht einen Augenblick lang zurück und prüft Thomas’ Blick. Er hat keinen Witz gemacht. Sie protestiert.
– Überdreht? Und ich wackele mit dem Hintern, sagst du?
– Ja. Und ich kann auch sagen, dass du nach Alkohol riechst, meine Liebe.
– Du bist nicht mein Vater.
Louise stolpert, Thomas fängt sie auf und lacht.
– Ich mache dich nur darauf aufmerksam, dass du betrunken bist. Und ich gebe zu, dass der Kerl nicht schlecht aussieht.
– Mehr noch. Er kann sehr gut tanzen.
– Von mir aus. Aber für meinen Geschmack hat er dich etwas zu fest an sich gedrückt.
– Bist du eifersüchtig?
– Ja, ich bin eifersüchtig. War dein Mann das nicht?
– Romain vertraute mir total.
– Dann muss es an mir liegen, denn ich weiß ja, dass du in der Lage bist, einen Mann zu verlassen.
– Ich werde dich ganz sicher nicht für einen Boris Fern verlassen.
– Ah! Er heißt Boris Fern?
– Wenn du hin und wieder den Fernseher anschalten würdest, wüsstest du das. Jeder kennt ihn. Aber ich bin nicht von der Sorte, die sich in einen Fernsehmoderator verknallt. Ich bevorzuge Psychoanalytiker, die auf Pferde wetten. Machst du mir jetzt eine Szene?
– Das werde ich niemals tun. Das wäre dumm und unangemessen. Aber wenn ich eifersüchtig bin, sage ich es.
– Ich liebe dich, du Idiot, flüstert Louise. Und du weißt doch, dass ich nur ausgehe, damit ich meinen Arsch zeigen kann.
Thomas lächelt und küsst Louises Nacken. Es missfällt ihm im Grunde gar nicht, dass sie ihn zeigt, ihren Arsch.
KARL UND LÉA
Karl und Léa haben jede Menge Päckchen auf den Küchentisch gelegt. Vierzig sind es, denn heute Morgen wird Anna vierzig Jahre alt. Päckchen in allen Formen und Farben, in Krepppapier, in Samt, in Seidenpapier gewickelt. Eine echte Überraschung. Anna spielt mit, wie es sich gehört.
– Pack aus, Mama, pack aus, schreien Karl und Léa, während Stan den kleinen Geburtstagskuchen in vier Stücke teilt, nachdem Anna die Kerzen ausgepustet hat.
Anna öffnet die Päckchen, immer abwechselnd ein großes und ein ganz kleines. Hier ein knallrot bemalter Kieselstein mit einem goldenen A darauf. Dort ein Bild von Léa, das Anna vorsichtig auffaltet. Ein Ingwerkeks, den sie sofort aufisst. Ein parmafarbenes Haarband. Eine rote Rose, die sie
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