Kein Wort mehr ueber Liebe
zehn Euro gesetzt. Ist das o. k.? Das ist doch vernünftig.
– Zusammen zwanzig Euro? Das ist viel zu viel, Thomas. Das ist ein Witz.
»Zweites Rennen. Start in einer Minute«, verkündet der Lautsprecher.
– Die Pferde sind da hinten auf der großen Bahn, erklärt Thomas. Sie werden sich beim Start vor uns aufstellen, und beim Startschuss werden sie, so schnell sie können, losrennen, da hinten nach Osten abbiegen und beim Finish wieder an uns vorbeilaufen.
– Wer von denen ist Ouragan des Closeries?, will Judith wissen.
– Er hat die Nummer 12, da hinten. Der Jockey mit der violetten Jacke.
Beim »Peng« des Startschusses springen die Mädchen auf, kichern über ihren Schrecken und fangen beide an, den Namenihres jeweiligen Pferdes zu brüllen. Thomas lacht laut auf. Louise geniert sich.
– Nicht so laut, Kinder, ihr stört ja alle anderen Leute.
Die Pferde sind schon kurz vor der großen Kurve. Wenn man dem Kommentar des Sprechers glauben kann, ist Judiths Pferd nicht schlecht platziert. Der Favorit, Piet van Dresden, hat sich leicht an der Fessel verletzt und gibt nicht sein Bestes. Sein Rivale, Orus de Bruxelles, kommt mit diesem schweren Boden nicht gut zurecht. Die anderen bieten eine mittelmäßige Leistung. Als die Traber die Ziellinie überqueren, verkündet der Sprecher: »Erster: die 12, Ouragan des Closeries. Zweiter: die 10, Oscar Night. Dritter: die 3, Piet van Dresden.«
– Haben sie gewonnen? Louise ist völlig baff.
Thomas nicht weniger.
– Ich fasse es nicht. Ja, deine Mädchen haben gewonnen. Und auch noch alle beide!
Judith und Maud hüpfen und tanzen vor Freude. Sie fassen sich an den Händen und jubeln.
– Wir haben gewonnen! Wir haben gewonnen!
– Sie haben auf Sieg für Ouragan des Closeries gesetzt?, fragt ein großer Typ verwundert und zerreißt seinen Wettzettel. Dieser alte Gaul? Manche haben echt Schwein.
– Ou-ra-gan-dé-clo-sri! Ou-ra-gan-dé-clo-sri!, schreien die Mädchen.
– Stopp! Beruhigt euch, Kinder! Aber … Thomas … wie viel haben sie gewonnen?
– Das ist verrückt: beide zusammen ungefähr tausend Euro.
– Tau-send-Eu-ro! Tau-send-Eu-ro!
– Ruhe!, ruft Louise wütend. Kommt, wir gehen nach Hause.
– Aber Mama, können wir nicht noch mal mit dem ganzen Geld spielen?, fragt Judith.
– Nein, ich habe gesagt, wir fahren heim. Habt ihr gehört?
– Bitte, Mama, fleht Maud. Thomas hat gesagt, dass wir beim vierten Rennen noch mal spielen.
– Ich habe nein gesagt. Ich entscheide, nicht Thomas. O. k.?
Louise nimmt die beiden Mädchen an die Hand und zieht sie unter Protest von der Tribüne. Thomas mischt sich nicht ein. Er holt die Gewinne ab und stößt am Auto, in dem sie bereits Platz genommen haben, wieder zu ihnen. Louise sitzt am Steuer und schweigt, der Motor läuft schon, die Mädchen piepsen auf der Rückbank. Thomas zeigt ihnen ein Geldbündel.
– Was machen wir mit diesem ehrlich verdienten Geld?
Louise antwortet nicht. Sie fährt los auf die Stadtautobahn, starrt mit verstocktem Gesicht auf den Asphalt.
– Louise, erklär mir, was los ist! Das ist doch eine lustige Geschichte.
– Du verstehst nichts. Nein, Thomas, das ist nicht lustig. Die Mädchen sind vollkommen überdreht, es ist so, als ob du ihnen Kokain verabreicht hättest.
– Kokain?
– Genau! Spielen macht süchtig, weißt du das denn nicht? Ich habe meine Mädchen nicht mehr wiedererkannt. Das nehme ich dir übel.
– Es tut mir leid.
– Leid … Aber jetzt ist es zu spät. Ich kenne Leute, die imCasino ihr ganzes Geld auf den Kopf hauen, sogar ihre Rente. Willst du es genau wissen? Also gut: zum Beispiel meine Mutter. Meine Mutter. In Enghien. Und noch heute geht sie hin, sobald sie kann. Du hast keine Ahnung, welche Bilder da vor meinen Augen auftauchen.
– Das hättest du mir sagen müssen …
– Ich wollte ja nicht nach Vincennes fahren, aber du hast darauf bestanden. Nun gut. Du hast gewonnen.
Sie schweigen lange. Der Verkehr stockt. Die Mädchen auf der Rückbank sagen kein Wort mehr. Thomas dreht sich zu ihnen um. Sie sind erschöpft eingeschlafen. Das Armaturenbrett gibt einen langen Piepton von sich.
– Mist. Ich habe kein Benzin mehr, ärgert sich Louise. Und ich habe mein Scheckheft nicht dabei.
– Ich habe Bargeld, flüstert Thomas. Sogar ganz schön viel.
Sie antwortet nicht. Er beobachtet sie von der Seite. Auf Louises Lippen zeichnet sich ein leichtes Lächeln ab, das langsam breiter wird. Kurz darauf werden sie beide von einem
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