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Keine Angst vor Anakondas

Keine Angst vor Anakondas

Titel: Keine Angst vor Anakondas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Dirksen
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Jaguare denn denken?«, fragt Jörg nun und spinnt den Gedanken gleich weiter: »Wenn ja, dann aber gleichsam nur in Form von Gedankenfetzen, kurzen Sätzen also, ohne Grammatik und Artikel, und nur im Präsens.«
    »Und ohne ein großes Ich-Bewusstsein«, greife ich seine Überlegungen auf.
    »Dann würde der Jaguar das Wort ›ich‹ also nicht kennen. Ok, mal angenommen, ich wäre der Jaguar«, fantasiert Jörg, »dann hätte ›ich‹ beim Freilassen in etwa folgendermaßen ›gedacht‹: ›Höre aufrecht gehende Zweibeiner. Machen viele eigenartige Dinge. Begreife nicht. Öffnen den Käfig. Kann raus – fliehen! Endlich. Keine Zweibeiner mehr zu sehen. Rieche sie noch. Sind in der Nähe.
    Wo ist das hier? Fremdes Gelände. Unbekanntes Revier.
    Lecke Flanke, tut da weh. Immerhin, keine Wunde, kein Blut. Merkwürdig. Aber künstlicher Geruch. Typisch bei Zweibeinern. Riechen nicht gut. Voller unnatürlicher Gerüche. Bah.‹«
    Wir lachen herzhaft. Jörg hat sich in die Gedanken des Jaguars hineingesteigert. »Pssst, nicht ganz so laut, wir wollen doch unsere Leute hier im Camp nicht aufwecken!«, mahne ich.
    Aber Jörg ist nicht zu stoppen und legt wieder los: »›Uh, schummrig im Kopf. Sonne – hell und heiß. Will Schatten. Will Ruhe. Habe Durst. Stehe jetzt. Betrachte Umgebung. Große offene Fläche. Nicht gut. Waldrand weit. Wo sind Zweibeiner?
    Sehe Büsche. Viel näher als Wald. Gutes Versteck vor Zweibeinern. Auch Schatten. Gebüsch ist klein. Egal. Erst einmal weg.
    Erste Schritte. Noch wackelig. Stehe jetzt im Freien. Bin sichtbar von überall. Nicht gut. Schnell zum nahen Gebüsch. Laufe jetzt. Noch wenige Sprünge.
    Da stimmt etwas nicht. Uh, Rascheln im Gebüsch. Tier muss da sein. Wird verjagt! Aber – Geruch von Zweibeinern. Sehr stark. Gefahr! Da, ein Zweibeiner mit hellen Locken. Muss Chef von Gruppe sein. Steht plötzlich auf, brüllt, ist erregt. Hat Astgabel in Händen. Bin schon ganz nah. Schnell weg hier. Fauche laut. Zweibeiner fuchtelt mit Astgabel. Noch mehr Zweibeiner. Sehe schwarzes Gerät hinter Büschen. Das surrt leise und gleichbleibend. Bestimmt gefährlich. Wieder Falle? Fauche erneut. Will nicht kämpfen. Will Ruhe, weg von Zweibeinern. Rase zum Waldrand. Schlage Haken. Wald ganz nah. Gutes Versteck. Schatten. Bin außer Atem. Herz pocht. Da, ein Bach. Trinke viel. Dichtes Grün. Liegen, ausruhen. Bin wieder frei. Werde weit weggehen. Weg von Zweibeinern. Besser ist das!‹«
    Wir lachen erneut. »Eine interessante Perspektive«, sage ich dann zu Jörg. »Der Felix Heidinger hat übrigens auch mal Löwen in Indien gefilmt. Da respektieren sich Mensch und Löwe ganz anders als in Afrika. Eine gewisse Schmerzgrenze sollte aber dennoch nicht überschritten werden«, hebe ich an.
Des Königs Pranke – Panthera leo persica
    Der Gir Forest im Bundesstaat Gujarat im dicht besiedelten Nordwesten Indiens ist der letzte Rückzugsort des Indischen Löwen. Indien ist dicht besiedelt, und für die Indischen Löwen blieb so kaum ein Flecken Land zum Leben übrig. Doch hier, im Gir Forest, residiert er mit ungeahnter Toleranz. Löwe und Mensch leben in friedlicher Koexistenz: Die Menschen machen seit Jahrhunderten keine Jagd mehr auf die Raubtiere. Die Löwen wiederum haben sich über Generationen an die Menschen gewöhnt, ähnlich wie in Afrika an die »Konservendosen«. Sie greifen die Zweibeiner nicht an und tolerieren eine für Raubkatzen ganz ungewöhnliche Nähe. Sie lassen Menschen so nahe an sich heran, dass kritische Stimmen sogar von einem degenerierten Verhalten sprechen. Für Tierfilmer bietet es allerdings optimale Bedingungen. Felix Heidinger und sein Team hatten jedoch bei ihrer Expedition mit einem anderen Nachteil zu kämpfen: In diesem Wald ist die Vegetation sehr dicht. Die Jeep-Konservendosen-Strategie funktioniert hier nicht. Folglich machten sie sich auf Schusters Rappen auf den Weg.
    Der Tierfilmer gewöhnte sich rasch an die ungewöhnliche Toleranz der Löwen. Sein Team filmte eine Löwenpaarung aus dem unglaublichen Abstand von nur fünf bis sechs Metern. Irre! Das ist weniger weit, als der Mensch springen kann, der Weltrekord liegt bei 8,95 Metern. Für den Notfall stand etwas abseits ein Inder mit einem Speer. Sie würden ihn nicht brauchen, dessen war er sich sicher. Felix Heidinger erzählt, dass er den Dreh sehr intensiv miterlebt hat: Es war ein erhabenes Gefühl, so dicht an wilden Raubkatzen zu filmen. Mucksmäuschenstill lauschten sie dem Knurren,

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