Keine Angst vor Anakondas
sich dem kleinen Fluss. Es ist heiß, der Löwe wird Durst haben. Reinhard Radke hat ein etwas abseits gelegenes Versteck hinter Sträuchern gewählt und die Kamera aufgebaut. Er ist hoch konzentriert, hat den Löwen im Fokus der laufenden Kamera. Schön, weiter so, denkt er, das gibt eine lange ungeschnittene Aufnahme. Der Löwe füllt den Bildausschnitt, Reinhard Radke zoomt ganz langsam heraus. Etwas irritiert ihn, während er das Geschehen mit der Kamera verfolgt. Er schaut auf. Der Löwe nähert sich. Der geht aber nicht in Richtung Wasser, sondern kommt direkt auf sein Versteck zu. Klar, Reinhard Radke möchte wirklich darauf verzichten, sein Versteck mit dem Löwen zu teilen. Der soll nicht wissen, dass er in seiner Nähe ist. Exakt diese Art von Situation versucht Radke immer zu vermeiden. Innerlich flucht er. Was nun? Seine Anspannung steigt mit jedem Schritt des Löwen. Dem wiederum ist anzumerken, dass er den Filmer noch nicht wahrgenommen hat. Die Raubkatze trottet müde durch die Landschaft, will im Schatten ein gemütliches Nickerchen machen und nebenbei beobachten, ob sich durstige Beute am Fluss einfindet. Der Busch, den Reinhard Radke gewählt hat, ist wirklich gut dafür geeignet. Der König der Tiere kommt näher und näher, ist nur noch wenige Schritte vom Unterstand entfernt. Ein Kontakt ist unausweichlich, eine ernste Konfrontation droht.
Es gibt erstaunlich viele Aufnahmen von Löwen, bei denen zu sehen ist, dass die Kameraleute sich sehr nah an sie herangewagt haben. Einige Aufnahmen sind aus einer Distanz von wenigen Metern entstanden. Wie schaffen es die Filmer, sich vor den Löwen zu schützen und sie dennoch aus so geringer Entfernung zu filmen? Begeben sie sich alle in Gefahr, wie es Reinhard Radke ungewollt geschah? Des Rätsels Lösung ist einfach: Die Löwen werden meistens aus einem Fahrzeug heraus aufgenommen. »Konservendosen« nennt Reinhard Radke die Fahrzeuge. Wie wahr, in der Konserve bleiben die Tierfilmer frisch, also gesund und am Leben. Wenn ein Zweibeiner das Fahrzeug verlassen würde, nähmen die Löwen ihn sofort wahr. Keine gute Idee! Grundsätzlich mögen sie keine Eindringlinge in ihrer Nähe, innerhalb der Zone, in der sie niemanden dulden. Die Blechbüchse ist eine sichere Methode, um sich einem Löwen zu nähern. Diese Methode ist sogar noch besser als die Nutzung von Unterwasserkäfigen beim Filmen von Haien. Die Haie erkennen die Taucher, kommen aber nicht an sie heran. Die Löwen in den Nationalparks ignorieren die knipsenden Safari-Touristen. Sie juckt es schon lange nicht mehr, wenn da ein paar Jeeps herumstehen. Sie gehören für die Löwen dazu wie die Felsen in der Landschaft.
Nach Reinhard Radke gehen die Löwen zu 99,9 Prozent dem Menschen respektvoll aus dem Weg. Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch sich nicht wie ein Elefant im Porzellanladen aufführt. Man muss sich an die Spielregeln halten. Hektische Bewegungen und laute Geräusche sind tabu. Es gilt, sich ruhig und gelassen zu verhalten, als wollte man dem Tier sagen: »Hey, bleib locker, brauchst keine Angst zu haben. Tu doch so, als wenn ich nicht da bin. Mach doch einfach mit dem weiter, was du gerade vorhattest.« Lange, direkte Blicke in die Augen von Raubtieren erregen nur deren Aufmerksamkeit. Dann findet eine Kommunikation statt, die im besten Fall vom Löwen als harmlose Neugierde verstanden wird. Gefährlich wird dieses Fehlverhalten, wenn der Blick den Löwen verunsichert, verärgert oder gar in Angriffslaune versetzt.
Raubtiere sind konservativ, sie spezialisieren sich gerne auf eine bestimmte Beute und bleiben auch dabei. Es gibt Löwenpopulationen, die gehen auf Zebras, andere auf Büffel, wieder andere auf kleinere Savannenbewohner. Das hat Auswirkungen auf ihre Organisation, auf die Größe der Gruppen. Löwen reagieren wenig interessiert, wenn andere Tiere als ihre bevorzugten Beuteobjekte vor ihrer Nase herumlaufen. Mit uns Zweibeinern haben sie seit Tausenden von Jahren schlechte Erfahrungen gemacht. Bei Begegnungen zogen sie meist den Kürzeren. Im Normalfall wird ein Löwe deshalb Menschen nicht als Beute sehen, die Segel streichen und verschwinden. Im Normalfall.
Massive Störungen im Ökosystem können jedoch dazu führen, dass kaum noch Wildtiere da sind. In der Vergangenheit führten Epidemien immer wieder zu erheblichen Bestandsverlusten unter den Wildtieren. Beispielsweise grassierte mehrfach die Rinderpest in Afrika. Dann hungern die Löwen, und es kommt vor, dass
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