Keine Angst
Wand nahm. Jetzt fällt es ihr ein. Jetzt.
Dann werden auch ihre Gedanken zu Öl.
Jochen Franz, Sammler und Kunstkritiker, steigt hinab in Kricks Keller und wird freundlich empfangen. Krick ist ausnahmsweise nüchtern.
An den langen, narbigen Gußbetonwänden hängt die Stadt.
Jeden Straßenzug soll Krick inzwischen gemalt haben. Als wolle er Köln vollständig nachbilden. Franz verschlägt es den Atem. Und dann, was danach? Eine andere Stadt? Was kommt nach einem Gesamtwerk, das keine Steigerung mehr zuläßt? Da! Der Neumarkt zum Beispiel, davor bleibt er lange stehen. Das Bild scheint irgendwie frischer als die anderen, noch mehr voller Leben. Es atmet. Und wieder, wie schon so oft und nicht nur er, fragt sich Franz, welchen Pakt Krick wohl geschlossen hat, um so malen zu können.
Pakt. Franz muß grinsen. Krick, der gute alte Saufaus. Aber immerhin, früher hätten die Leute so was geglaubt.
Sein Blick erwandert diesen phänomenalen Neumarkt, bleibt für eine Sekunde an einem Porsche hängen – unfaßbar, als wolle der Wagen gleich losdreschen, geradewegs aus dem Bild raus ins wirkliche Leben – und findet zum nächsten Detail.
Er wird über Krick schreiben. Er wird Superlative gebrauchen. Das sagt er Krick.
Krick lächelt.
Stühle, hochgestellt nach Mitternacht
Mhhmm – Die Luft! Verteufelt gutes Zeug! Eine schwere Sprache, die ihm da entgegenschlug, rauchsüßer Atem, Schwaden von Geschichten.
Das liebte er. Diesen Menschendunst. Daraus ließ sich was machen.
Es ging gegen zwölf, als der Sammler das Brauhaus betrat, um diese Luft zu trinken und ein letztes, gnadenvolles Kölsch. Vereinzelt saßen noch Gruppen Spätdurstiger im gelblichen Schlauch der Schwemme und erweckten den Eindruck geheimer Vertrauter. Vom stoischen Gleichmut, den Köbessen so eigentümlich wie der Mona Lisa das Lächeln, war nichts geblieben als die zerknitterte Fratze der Müdigkeit. Stundenlang waren sie die endlosen Reihen der Tische entlanggehetzt, als sei das Brauhaus selber eine einzige durstige Kehle, bereit, sie samt ihrer Kränze zu verschlingen. Jetzt würde der letzte Gast ihre eigene ohnmächtige Erschöpfung sein, an deren Ende selten ein Bett und zu oft eine Bar stand, wo man zur Abwechslung ihnen was auf den Deckel gab. Teurer als zwo zwanzig und nicht halb so gut.
Der Sammler leckte sich die Lippen. Schuppig von Trockenheit. Ein Mann eilte herbei, geduckt und bullig, Schweiß auf der Glatze, Dampframmenhände, verharrte am Faß und zapfte nach. Die Gläser in dem leeren Kranz hoben und senkten sich wie Kolben in einem Motor, bis sich das kalte Rad wieder in eine weißgoldene Krone verwandelt hatte.
Gut so! Der Sammler freute sich. Noch weilte Gott unter den Lebenden. Noch gab es was zu trinken.
Zu seinem Bedauern entschwand der Kranz ins Schwarzafrika angrenzender Räumlichkeiten. Er schickte einen sehnsüchtigen Blick hinterher. Der Köbes hatte ihn beim Hereinkommen ausdruckslos taxiert, also durchaus wahrgenommen. Dennoch, obschon er sich demonstrativ am Stehtisch gleich hinter der Eingangstür plaziert hatte, von wo man die Schwemme mit den Batterien tabakfarbener Fässer und einen Teil des vorderen Räumchens zur Linken im Visier hat, sah es so aus, als solle der Sammler ungesegnet bleiben.
Er überlegte. Sein Durst überlegte. Dem Bulligen nachzulaufen war zwecklos. In Köln war alles anders. Als Zugezogener hatte er lernen müssen, was die Kölner urinstinktiv zu wissen scheinen. Man bestellt kein Kölsch in einem Brauhaus, man bekommt es zugeteilt. Ebensowenig ist der Köbes ein Kellner, sondern ein Brauereigehilfe, dessen Stolz es ausschließt, Bier an Tische zu tragen. Sofern sich Kölner allerdings an Regeln halten, was selten genug der Fall ist, tun sie es in Erwartung der damit verbundenen Ausnahme, deren eine besagt, daß Köbesse letzten Endes doch Bier an Tische tragen, weil sie Unternehmer sind und ergo keine Kellner. Also wartete der Sammler, während die Zeiger seiner Armbanduhr unerbittlich gegen zwölf vorrückten und ein weiterer Kranz gefüllt wurde, opferte sich der Hoffnung und fühlte seinen Gaumen trockener werden.
Sollte er tatsächlich leer ausgehen?
Keine Panik, sprach die Erfahrung zu der Ungeduld. Alles eine Frage des Glaubens im heiligen Köln. Der Köbes wird das Kölsch schon bringen, und wenn die sieben Plagen gleichzeitig über die Türme des Doms hereinbrechen und der Rhein über die Ufer tritt und was sonst noch alles. An einen Köbes mußt du glauben wie an
Weitere Kostenlose Bücher