Keine Angst
abhängen, raus, so einfach! Simone Rautenbach, ein Muster guter Erziehung. Scheiß drauf! Nur die Liebe zählt.
Aber als sie vor dem Bild steht, verharren ihre Hände, die Finger gespreizt, ohne daß sie fähig ist, zuzugreifen. Keine plötzlichen Skrupel, nur eher, als habe Krick sein Werk mit einem Schutzschild umgeben, einer Warnung. Etwas Seltsames geschieht. Vor ihren Augen scheinen Menschen und Autos in Bewegung zu geraten, transformieren sich die Farben und Strukturen der Pinselstriche, und einen Moment lang glaubt sich Rautenbach in einem Sog gefangen, stöhnt auf und taumelt atemlos zurück. Eine Kleinigkeit in dem Bild kommt ihr verändert vor, etwas, das vorher nicht da war, eine Gestalt, jemand Bekanntes …
Dann ist der Spuk vorbei, und ihre Finger krallen sich gierig um den Rahmen. Die Beute an sich gedrückt, wirbelt sie herum, nur raus hier, raus, nur weg!
Vor ihr steht Krick.
Rautenbach ist so verblüfft, daß sie vergißt zu schreien. Sein teigweißes Gesicht ist ihr zugekehrt, die Lider halb geschlossen, die Augäpfel nach oben verdreht, so daß sie nur das Weiße sehen kann. Krick scheint nicht wirklich bei Sinnen zu sein, aber seine massige Präsenz verschließt ihr den Fluchtweg, und hinter ihr eröffnet sich die unbekannte Welt des Kellerlabyrinths, aus dessen Tiefe es kalt heraufzieht.
Zeit versickert.
Rautenbach weiß nicht, wieviel, eine Minute, eine Stunde. Sie hält das Bild umklammert und wartet ab, während Kricks Kopf sich langsam hin und herdreht, als erkunde er sein Umfeld mit einem inneren Radar. Heiß schlägt ihr der Geruch von Alkohol entgegen, und ihre Oberlippe benetzt sich mit Angst. Langsam, tropfenweise.
Aber um nichts, um nichts wird sie das Bild hergeben! Nichts in der Welt!
Krick öffnet die Augen und lächelt.
Er sieht sie einfach an, und Rautenbach findet ihre Bewegungsfähigkeit wieder. Springt los, drängt sich an ihm vorbei, verwachsen mit ihrer Beute, und hastet die Treppe hinauf. Krick macht keine Anstalten, sie zurückzuhalten. Er starrt ihr hinterher, sie spürt seinen Blick zwischen ihren Schulterblättern, schlimmer noch, sein höhnisches Lächeln, das an ihr klebt, so wie Kricks ganze Welt irgendwie klebrig ist, und als sie auf die Straße taumelt, muß sie Galle würgen. Zwischen Bordstein und Fahrbahn verkeilt sich ihr Absatz im Gullydeckel. Sie dreht sich um, sieht, wie die Stahltür langsam aufschwingt, schlüpft aus ihrem Schuh und humpelt zum Wagen, heftig keuchend. Nicht eine Sekunde kommt ihr der Gedanke, das Bild einfach loszulassen. Wie irre tastet sie nach dem Schlüssel, hört ihr angstvolles Wimmern, hinter sich Geräusche, die Schritte sein könnten, Panik, fiebernde Hast! Endlich der Schlüssel. Bild auf den Beifahrersitz paß.t Himmelseidank reinfallen lassen. Zentralverriegelung. Anlasser. unkontrolliertes Zittern jetzt ja jetzt rumdrehen bitte bitte bitte …
Das vertraute Dröhnen des Sechszylinders. Ruhig. Unangreifbar.
Etwas klatscht ans Seitenfenster. Rautenbach steigt aufs Gas und rast los. Nicht in den Rückspiegel gucken. Weg!
Dann schreit sie triumphierend auf. Sie hat das Bild. Es ist in ihrem Besitz. Sie besitzt Krick! Ist im Besitz seines Bildes, in seinem Besitz, besessen!
In Besitz genommen.
Der Wagen donnert durch die leeren Straßen Richtung Neumarkt. An der Stadtbibliothek kommt sie ins Schleudern, schießt ins Rund, vorbei an den Silhouetten der Bäume, deren Äste ungewöhnlich kraftvoll in die Nacht gemalt sind, kneift verdutzt die Augen zusammen. Heute hat es nicht geregnet. Warum schert der 911er aus der Spur, und jetzt wieder? Überhaupt, was ist mit der Straße? Dieses Glänzen, das die Fahrbahn überzieht, der Geruch plötzlich, die Angst zu ersticken, was ist das?
Der Neumarkt um sie herum zerfließt, wird heller, flächiger. In heilloser Angst versucht Rautenbach gegenzulenken, während der Porsche wie ein Puck daherschießt, aber ihre Hände rutschen ab, und alles ist plötzlich ölig, schmierig, alles, der Wagen, ihr Kleid, sie selber.
Wie in Sirup wird der Porsche aufgefangen von etwas, das keine Luft mehr ist, kommt zu stehen, und Rautenbach versucht, die Tür zu öffnen. Sie gleitet ab, fährt sich mit beiden Händen durch die Haare, aber es ist, als packe sie in einen Klumpen Schmiere.
Sie versucht zu schreien, und der Schrei gerinnt ihr in der Kehle.
Das letzte, was sie denken kann, ist, daß sie auf dem Bild Rattengesicht gesehen hat, seine arme, kleine, gefangene Gestalt, als sie es von der
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