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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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schon klar.« Er steckte das Telefon ein und schaute zur Diga vecchia hinüber.
     
    Laurenti bezahlte den Eintritt und schaltete sein Mobiltelefon ab. Die Badeanstalt auf der Diga vecchia hatte eine lange Tradition, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ihren Anfang genommen hatte, doch in den sechziger Jahren war sie der miserablen Wasserqualität zum Opfer gefallen. Längst war das Meer wieder sauber. Vor vier Jahren wurde der Deich vor dem alten Hafen saniert und herausgeputzt. Damals war eine der rechten Seilschaften um Raffaele Raccaro am Hebel gewesen. Sie hatte ihre Finger in zahlreichen Immobilienprojekten der Stadt. Doch dann legte die Badeanstalt noch vor Saisonende eine überraschende Pleite hin, deren Ursachen rätselhaft geblieben waren. Im Jahr darauf eröffnete sie wieder unter einem neuen Pächter und entwickelte sich zu einem fabelhaften Ort, an dem man mitten in der Stadt prächtig entspannen konnte.
    Das Wasser war klar, die Liegestühle waren bequem, das Restaurant servierte Snacks und gute Drinks. Am Abend vergnügte man sich mit Blick auf die Lichter der Stadt, ohne dass die laute Musik jemanden störte.
    »Der Kuss«, sagte Gemma, nachdem sie sich von Laurentis Lippen gelöst hatte, der sich scheu umsah, »der Kuss, das hat gerade ein englischer Wissenschaftler herausgefunden, hat überhaupt nichts Romantisches an sich. Und er ist auch kein Subsystem der Evolutionskontrolle, mit dem das Weibchen detailliertere Informationen über den Hygienezustand des Männchens zu erforschen trachtet, über seine Reinlichkeit,seinen Geruch etwa, seinen Gesundheitszustand, seine Fortpflanzungsfähigkeit. Nein, dazu reicht es, zu riechen, genau hinzuschauen oder es auszuprobieren. Wusstest du das?« Sie blätterte in einer Fachzeitschrift mit dem Titel »Medical Hypotheses«.
    Auf der obersten Terrasse, wo der Eintritt doppelt so viel kostete, befanden sich sonst keine Gäste.
    »Na sag schon«, antwortete er amüsiert. »Wofür hat die Schöpfung ihn dann vorgesehen?«
    »Ganz einfach, das Weibchen entwickelt Antikörper gegen das Zytomegalievirus, das grundsätzlich vom Männchen übertragen wird.«
    »Aha, immer sind wir Männer schuld.«
    »Keine Sorge, jeder hat es. Dieses Virus ist für gesunde Erwachsene völlig ungefährlich, wäre aber während der Schwangerschaft für das Ungeborene äußerst gesundheitsschädlich. Also, beim Küssen übertragt ihr es mit dem Speichel, wir Frauen entwickeln dann Antikörper dagegen, die mit der Zeit den Keim unschädlich machen, so dass wir problemlos empfangen können. Je länger eine Beziehung dauert, desto mehr sinkt die Möglichkeit einer Erkrankung. Die einzige Vorbeugung ist, sich ständig und mit Leidenschaft zu küssen, schreibt dieser Forscher. Ein sechs Monate langer Dauerkuss wäre die beste Prophylaxe. Die Übertragung mit dem Speichel ist die effektivste Methode, aber der Virus befindet sich auch im Urin, in Bluttransfusionen und in Spermasekreten.«
    »Also gibt es doch echte Alternativen«, scherzte Laurenti.
    »So viele du willst.«
    »Aber wieso sprichst du von Schwangerschaften? Hast du nicht gesagt, dass du dein erstes Kind nicht vor vierzig bekommen willst?«
    Die Vorstellung, dass Gemma ihm eines Tages freudestrahlend eröffnete, dass er noch einmal Vater würde, jagteLaurenti einen Schauer über den Rücken. Er war doch kein Politiker. Er liebte Laura und würde sie niemals verlassen. Und außerdem war er heilfroh, dass seine drei Kinder endlich erwachsen waren.
    »Dabei bleib ich auch. Hast du eigentlich die Quallen gesehen?«, fragte Gemma und deutete auf die drei dicken weißen Tiere, die der heiße Südwestwind ins Hafenbecken getrieben hatte.
    »Lungenquallen. Sie sind ungiftig und ein Zeichen für die gute Wasserqualität. Sie ernähren sich von Plankton. Und wenn du tauchst, dann siehst du die kleinen Fische zwischen ihren Tentakeln, die sie begleiten. Du kannst sie anfassen. Einfach wegschieben. Sie sind wirklich harmlos.«
    »Eklig sind sie trotzdem. Und riesig.«
    »In Asien isst man sie. Und in der Zeitung stand, dass die Chinesen sie vor Rimini in Ruderbooten abfischen und in Mailand als Spezialitäten verkaufen. Du wirst sehen, sobald der Wind dreht, werden sie wieder hinausgetrieben.«
    Proteo Laurenti streckte sich, nachdem Gemma die Sonnencreme mit zarter Hand auf seinem Leib verrieben hatte, auf dem Liegestuhl neben ihr aus. Er räkelte sich und beobachtete den Sporthafen, von dem zu dieser Stunde immer noch unzählige

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