Keine Frage des Geschmacks
Lider. »Ich weiß,es brennt, wenn man das Zeug in die Augen kriegt«, sagte sie sanft. »Komm her, ich mach das schon.«
Laurenti atmete tief ein und aus. Er schnaubte, als wollte er Dampf ablassen.
»Es ist gleich vorbei«, sagte Gemma.
»Schön wär’s.« Laurenti klammerte sich mit den Händen an die Liege.
»Leg dich hin. Was hast du nur gesehen?«
»Ach, nur ein edles Schiff, das einen unerschwinglich hohen Preis hat.«
»Meinst du das da mit dem blauen Rumpf? Wenn ich mich nicht täusche, ist es die Yacht von Enrico D’Agostino. Er hat den Liegeplatz neben meinem Vater. Nicht schlecht, aber es gibt noch ganz andere Boote.«
»Und wer ist das?«
»Ein Aufreißer. Seine Frau Mariantonietta ist eine Topmanagerin in der größten Kaffeerösterei und arbeitet Tag und Nacht. Er hingegen hat geerbt und segelt. Sonst tut er nichts. Schade um ihn, er ist eigentlich ganz nett, aber er vernachlässigt seine Intelligenz. Dafür reißt er eine Schönheit nach der anderen auf, und seine Frau kriegt vor lauter Arbeit nichts davon mit. Wäre interessant zu wissen, wen der Kerl heute an Bord hat. Erstaunlich, dass er immer noch frische Beute findet. Man sagt ihm nach, er führe nie zweimal mit derselben Frau hinaus.«
»Wie, warst du etwa auch schon mit ihm auf hoher See?«
»Er ist wirklich ein toller Skipper. Mehrere Atlantikübersegelungen hat er gemacht und eine ganze Menge Regatten gewonnen. Aber mein Typ ist er nicht unbedingt.«
»Ich brauch jetzt dringend einen Aperitif«, ächzte Laurenti, während er sich wieder aufrichtete. »Und vielleicht hat an der Bar auch jemand eine Zigarette für mich.«
Weit im Nordwesten zogen die ersten schwarzen Gewitterwolken am Himmel auf, von denen sich die hellen Rauchsäulenabhoben, die noch immer vom Karst emporstiegen. Die Löschmannschaften, die bereits den zweiten Tag das Feuer bekämpften, würden für jeden Tropfen dankbar sein.
Freuds Fehler
Die Verhältnisse im landesweiten Strafvollzug waren katastrophal, auch in der Hafenstadt saßen fast doppelt so viele Häftlinge ein als es Plätze gab. Das Dekret, alle Ausländer ohne gültige Aufenthaltsbewilligung zu Straftätern zu machen, hatte die Situation drastisch verschärft.
Der dunkelblaue Kastenwagen mit den vergitterten Fenstern war gegen Mittag eine Autobahnausfahrt vor der letzten Mautstelle abgefahren, um den endlosen Stau zu umfahren, und hatte die restlichen dreißig Kilometer über die Landstraße zurückgelegt, bevor die Justizvollzugsbeamten aus Udine Giulio Gazza im Triestiner Gefängnis Coroneo ablieferten. Der dicke Mann wurde in eine der überfüllten Zellen gesteckt, in der sich bereits sieben andere drängten, obwohl sie nur für vier Personen angelegt war. Notliegen verengten den Raum, eine Matratze lag am Boden. Mit einem Blick erkannte er, dass auch für ihn ein provisorischer Schlafplatz eingerichtet würde, sollte es dem Anwalt wider Erwarten nicht gelingen, ihn rauszuhauen.
Während der Fahrt war kein Mucks über Giulios Lippen gekommen. In Udine hatte er die Nacht allein in der Zelle verbracht, doch jetzt musste er zuerst das Gemaule der anderen über sich ergehen lassen. Bald wusste er, wer seine Mithäftlinge waren: zwei Kosovo-Albaner, Schwarzarbeiter und Wilderer ohne Aufenthaltsbewilligung und Waffenschein, ein türkischer Fernfahrer, in dessen Lkw dreißig Kilo Heroin gefunden wurden, als er von der Istanbul-Fähre zur Ausfahrt aus dem Freihafengelände gefahren war, ein Chinese, ein Eritreer und ein Sengalese ohne gültige Papiere. Der einzige Italiener war ein Frührentner, der am Strand von Barcola heimlich nackte Kleinkinder fotografiert hatte und von denaufgebrachten Badegästen fast gelyncht worden war. Ein dicker Verband klebte auf seiner Nase und bedeckte das halbe Gesicht, sein rechtes Auge war violett gefärbt und zugeschwollen. Ohne Unterlass redete er auf den Neuzugang ein und beschwor seine Unschuld. Endlich ein Italiener, der ihn verstand. Er sei doch nur ein passionierter Hobbyfotograf und hätte keine schlimmen Absichten gehegt. Die Demokratie sei ein Dreckssystem, es bräuchte dringend wieder einen Staatsmann der mit eiserner Hand für Ordnung sorgte.
»Halt den Mund«, maulte Gazza, als der Kerl kein Ende fand. »In einem anderen System befändest du dich bereits beim Steineklopfen auf einer kargen Insel.«
Was hatte die Triestiner Staatsanwaltschaft eigentlich gegen ihn in der Hand? Er war schließlich kein Mörder oder Bankräuber. Und dem zufolge, was
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