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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Laurenti wurde mehrfach weiterverbunden, bis er endlich mit dem Arzt sprechen konnte, der Alberto behandelt hatte und erst vor einer halben Stunde aus dem Operationssaal gekommen war. Er lieferte eine knappe Diagnose, verwies allerdings auf den verbindlichen schriftlichen Bericht, den er noch verfassen musste. Die Verletzungen stammten eindeutig von Fausthieben und Fußtritten. Es stand nicht gut um den Somalier, doch er würde durchkommen. Vernehmungsfähig wäre er aber die nächste Woche ganz sicher nicht. Über die Frau im roten Kleid wusste der Arzt nichts, sie lag noch unter den Messern eines anderen Operationsteams.
     
    *
     
    Candace war sichtlich enttäuscht, als sie aus der Passkontrolle heraustrat und sich vergeblich nach ihrer Mutter umsah. Dann aber begann sie, sich Sorgen zu machen. Das Mail, das ihre Mutter ihr in der Nacht geschickt hatte, war beunruhigend. Auf der Fahrt nach Stansted hatte sie das lange Dokument mehrfach gelesen. Alle ihre Anrufe waren unbeantwortet geblieben. Sie klammerte sich an die Idee, dass Miriam nach dem Schock ausschlafen wollte und deswegen den Apparat ausgeschaltet hatte, doch ihr war klar, dass dies nicht mehr als eine müde Hoffnung war. Drei Monate in Zentralasien hatte die Vierundzwanzigjährige allein durchgestanden, und jetzt wusste sie nicht einmal, an wen sie sich wenden sollte. Sie stellte ihre Reisetasche auf eine Bank und überflog noch einmal Miriams Nachricht, bis sie auf den Namen und die Adresse des Londoner Rechtsanwalts stieß, den ihre Mutter als Vertrauensperson genannt hatte.
    Jeremy Jones nahm sofort ab. Seine Stimme, mit der er sie zu beruhigen versuchte, war sympathisch. Er riet ihr, sich umgehend an seinen Triestiner Kollegen Fausto Aiazzi zu wenden, der Miriam die neue Unterkunft verschafft hatte, und schickte ihr dessen Daten. Doch unter der angegebenen Telefonnummer meldete sich nur ein Anrufbeantworter, der die Geschäftszeiten der Kanzlei nannte. Der Samstag gehörte nicht dazu.
    Die Ankunftshalle hatte sich längst geleert, als Candace in ein Taxi stieg, das sie in die Stadt brachte. Für die außergewöhnliche Schönheit der Steilküste hatte sie keinen Blick. In der Via Trento bat sie den Fahrer zu warten, bis jemand öffnete. Sie klingelte lange, warf schließlich ihre Tasche zurück in den Wagen und ließ sich auf den Sitz fallen.
    »Und jetzt?«, fragte der Fahrer.
    »Bringen Sie mich bitte zur Polizei«, sagte sie fast tonlos.
     
    *
     
    Pina und Marietta quetschten die prügelnden Kahlköpfe aus, Battinelli würde erst in ein paar Stunden eintreffen, Raccaros Yacht bald beschlagnahmt und untersucht werden. Eine Stunde könnte er durchaus verschwinden. Laurenti beschloss, auf einen Sprung bei Gemma vorbeizuschauen, draußen auf dem alten Deich vor der Stadt. Ein Bad im Meer würde ihn erfrischen, und wenn er dann ins Präsidium zurückkehrte, lägen sicher schon die ersten Auswertungen vor.
    Das alte »Launch-Service«-Boot legte gerade in dem Moment ab, als Proteo Laurenti am Molo Audace die Vespa aufbockte und seinen verschwitzten Helm unter dem Sattel verstaute. Sein Winken war umsonst, entweder war der Kapitän zu sehr mit dem Manöver beschäftigt, oder er wollte ihn einfach nicht sehen. Jetzt musste er eine halbe Stunde bis zum nächsten Transfer warten. Er setzte sich auf einen der alten rostigen Poller und wählte Lauras Nummer. Als ihn in aller Herrgottsfrühe Albertos Hilferuf erreicht hatte, schlief sie weiter. In den langen Jahren mit Laurenti hatte sie sich mit den Anrufen zu den unmöglichsten Zeiten abgefunden und ließ sich in ihrem Schlaf nicht mehr stören.
    Es klingelte lange und vergeblich, doch wenig später rief seine Frau zurück.
    »Verzeih, Schatz«, flötete sie. »Ich war gerade dabei, meine Sachen zu verstauen.«
    »Ich fürchtete, ihr wärt bereits ausgelaufen. Nicht einmal verabschiedet haben wir uns heute früh.«
    »Ist etwas Schlimmes passiert, dass du so früh raus musstest?«
    »Ist das Boot so bequem, wie du geschildert hast?«
    »Ganz prima, Proteo. Das wird ein wunderbarer Ausflug.«
    »Sag Mariantonietta, dass ich sie einen Kopf kürzer mache, wenn sie dich nicht heil nach Hause bringt.«
    »Mach dir keine Sorgen, sie ist wirklich ein erfahrenerSkipper. Der Wind steht auch gut, so dass wir ohne viel Kreuzen vorankommen sollten. Ich ruf dich heute Abend oder morgen früh an und sag dir, wo wir sind. Ciao, mein Schatz.«
    »Viel Spaß, Laura. Mach du dir bitte auch keine Sorgen, wir kommen zu Hause

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