Keine Frage des Geschmacks
Durch unauffindbare Zeugen, welche die Ermittlungen verzögerten, oder vor Mautstellen auf der Autobahn von Urlaubern blockiert zu werden, hinter einem Penner warten zu müssen, der sich beim Umschalten der Ampel Zeit ließ, oder in Einkaufszentren an einer von zwei geöffneten Ladenkassen Schlange zu stehen und daneben vierzehn geschlossene zu sehen.
Nur die Tatsache, dass die Gewerkschafter auch für ihn auf die Straße gingen, ließ ihn jetzt die nötige Geduld aufbringen. Er spürte die Vibration seines Mobiltelefons in der Hosentasche und kramte es heraus. Was wollte der Verantwortliche für den Polizeibericht des »Piccolo« ausgerechnet jetzt von ihm? Widerwillig zerrte er den Sturzhelm vom Kopf und nahm das Gespräch an.
»Bist du es, Commissario?«, fragte der Journalist. »Störe ich?«
»Was gibt’s?«
»Was bedeutet das Polizeiaufgebot im Park von Miramare?«
»Drehen die dort nicht einen Film? Einen Krimi? Fall nicht auf falsche Polizisten rein«, bluffte Laurenti.
»Nimm mich bitte nicht auf den Arm. Du hast mit deinem Dienstwagen ein Blumenbeet umgepflügt. Schönes Bild. Unser Fotograf war dort, um ein paar Bilder vom Set zu machen.«
Laurenti schwieg beharrlich.
»Also, was ist passiert? Die Filmleute sind stinksauer. Sie mussten ihre Dreharbeiten wegen euch unterbrechen. Jetzt stimmt das Licht nicht mehr. Eine solche Meldung kommt nicht gut an, Commissario, wo die Stadt doch zunehmend als Kulisse gewählt wird. Eigentlich eine gute Werbung für uns. Zumindest solange das so bleibt.«
»Zwei Schwerverletzte! Eine Frau, ein Mann. Zusammengeschlagen von wild gewordenen, selbsternannten Ordnungshütern!Was glauben diese Filmleute eigentlich?«, rief Laurenti wütend. »Dass Polizei, Notarzt und Rettungswagen das Ende der Dreharbeiten abwarten?«
»Davon haben sie natürlich nichts gesagt. Wer sind die Opfer?«
»Wir ermitteln noch.«
»Und die Täter?«
»Vergiss es. Laufende Ermittlungen.«
»Und was soll ich unseren Lesern mitteilen?«
»Du wirst als erster unterrichtet.«
»Das hast du schon zu oft versprochen, Laurenti. Dann sag mir wenigstens, was ihr in Gazzas Wohnung entdeckt habt. Vergiss nicht, der Tipp kam von mir.«
»Top secret«, antwortete der Commissario und legte auf.
Die Leute vom Film hatten sich also allen Ernstes bei der Presse über einen realen Polizeieinsatz beschwert. Das war im Drehbuch nicht vorgesehen. Glaubten die etwa, dass sich alle nach ihnen richteten? Täter, Opfer und Ermittler? Natürlich freute es Laurenti, dass Triest in den Massenmedien ein gutes Bild abgab, und die Questura war es schließlich, die einen Gutteil der Drehgenehmigungen erteilte. Auch die blau-weiß lackierten Polizeiautos stellte man gerne für die Aufnahmen zur Verfügung und manchmal sogar Kollegen zur Dekoration. Diese mokierten sich gern über die Phantasie-Uniformen der Schauspieler, bei denen der Dienstgrad an Kragen und Ärmel so wenig der Realität entsprach wie die abgedrehten Szenen. Es schien fast, als würden außer Krimis keine anderen Filme mehr gedreht. Doch wollte die ganze Welt wirklich nur noch diese rasch produzierten Machwerke sehen, in denen grausam realistisch dargestellte Opfer für Quoten sorgten und der Täter stets geschnappt wurde? Die Wirklichkeit sah anders aus, als TV-Redakteure, Drehbuchautoren und Regisseure es gerne hätten – und Laurenti glaubte einfach nicht daran, dass mündige Bürger aufdiese Machwerke hereinfielen. Seit Monaten hagelte es Berichte über Festnahmen großer Mafiabosse. Einer nach dem anderen. Laurenti wusste, dass seine Kollegen im Süden des Landes gute Arbeit leisteten. Doch war es wirklich so, dass alles Übel beseitigt war, wenn diese Leute festgesetzt wurden? Oder waren es die Bauernopfer der Mafia, die man sowieso nicht mehr brauchte? Die Regierung ließ keine Gelegenheit aus, sich mit diesen Fahndungserfolgen zu schmücken. Und verabschiedete Gesetze, die die Arbeit der Ermittler zunehmend erschwerten.
Noch immer war kein Ende des Demonstrationszuges mit den roten Fahnen abzusehen. Zum Krankenhaus käme er so rasch also nicht. Laurenti wählte die Nummer des alten Gerichtsmediziners. Er musste Raissa erst wortreich davon überzeugen, dass sie den Hörer weitergab. In knappen Worten umriss er den Fall und appellierte an Galvanos Sympathie für den schwarzen Straßenverkäufer, damit der sich gleich auf den Weg ins Klinikum machte, auch wenn die Russin im Hintergrund zeterte.
Der nächste Anruf galt dem Krankenhaus.
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