Keine Frage des Geschmacks
bei einer tief dekolletierten Kollegin ab, deren Finger in Windeseile über die Computertastatur flogen und auf deren Schreibtisch zwei Zigaretten gleichzeitig in einem randvoll gefüllten Aschenbecher vor sich hin qualmten.
*
Laurentis Laune war so finster wie die Gewitterwolken am Horizont. Kaum hatte er sich in der Bar der Badeanstalt einigermaßen vom Anblick Mariantoniettas dichter Brustbehaarung erholt, eröffnete Gemma ihm, dass sie Ende der kommenden Woche mit Alvaro, ihrem langjährigem Lebensgefährten aus Mailand, in den Urlaub fahren würde. Ein ausgiebiger Törn mit der Yacht ihres Vaters, der seine Rückkehr für den nächsten Tag angekündigt habe. Der alte Pier Mora würde solange wieder die Praxis übernehmen, und dieses Malhabe sie keine Lust auf die Kornaten und die dalmatische Küste. Bis nach Apulien wollte sie segeln und auf der Höhe des Gargano rüber nach Korfu, Kefalonia und das Ionische Meer. Vier lange Wochen. Proteo Laurenti hatte es schweigend zur Kenntnis genommen, dann der Kellnerin nervös Zigaretten abgeschwatzt und eine nach der anderen gepafft. Er schaltete sein Mobiltelefon wieder ein und las Galvanos Nachricht: »Habe Vespa am Molo gesehen, warte im Tommaseo.« Der Abschied von Gemma fiel dieses Mal knapp aus, das »Launch-Service«-Boot machte bereits die Leinen los, als Laurenti an Bord sprang. Tatsächlich war er kaum länger als eine Stunde auf der Diga vecchia gewesen. Während der Überfahrt fing er plötzlich an zu lachen: Der Sommer der Gehörnten. Und wieder fiel ihm die Melodie des Pfeifkonzerts aus Quentin Tarantinos »Kill Bill« ein.
»Lange hätten wir nicht mehr gewartet, Laurenti. Der Hund verträgt die Hitze nicht.« Der alte Mann begann Dialoge stets mit mehr oder weniger offenen Vorwürfen. Er war in Begleitung der Russin, sie saßen im Schatten einer Markise vor dem ältesten Kaffeehaus der Stadt.
Der alte Gerichtsmediziner legte die Zeitung weg, als Laurenti sich an den Tisch setzte und die blonde Raissa begrüßte, deren helle Haut am Vortag viel zu lange der Sonne ausgesetzt war: Tomatenwangen, Erdbeernase, Wassermelonenstirn. Marcos Gemüsegarten war blass dagegen. Dafür trug sie eine hochgeschlossene, langärmlige weiße Bluse. Auf Laurentis Kompliment, wie gut sie aussähe, antwortete sie mit einem wehleidigen Lächeln und schnappte sich die Zeitung.
»Ich war im Krankenhaus«, sagte Galvano, »und habe dort die Arbeit der Polizei erledigt, während der Commissario schwimmen geht. Alberto wurde übel zugerichtet. Unterkiefer, Wangen- und Nasenbein gebrochen, dazu drei Rippen, der linke Unterarm, das linke Schambein sowie eine ziemlichheikle Hodenquetschung, knapp an der Amputation vorbei. Ein Wunder, dass die inneren Organe heil geblieben sind. Diese Schweine müssen noch mit Füßen auf ihn eingetreten haben, als er längst wehrlos am Boden lag. Und ganz sicher hat auch einer von ihnen einen Knüppel benutzt, einen Baseballschläger oder etwas Ähnliches. Ein Wunder, dass er dich noch verständigen konnte. Er hat einen eisernen Willen. Und er ist nur zufällig in die Sache geraten. Meines Erachtens wurde er benutzt. Als Täter hätte er wohl kaum die Polizei verständigt.«
»Er fürchtete um sein Leben, Galvano. Es ist immer noch besser, im Knast zu landen, als totgeschlagen zu werden. Der Arzt hat mir nach der Operation am Telefon übrigens gesagt, dass die Verletzungen von Fußtritten und Faustschlägen verursacht wurden. Einen Baseballschläger erwähnte er nicht.«
Dem Expertenblick Galvanos war eigentlich blind zu vertrauen. »Ich habe das Opfer gesehen, Laurenti. Und ich weiß, wovon ich rede. Weiter als ein kräftiger Mann werfen kann, wird das Ding kaum liegen.«
»Dann hat die Spurensicherung es inzwischen gefunden und die Fingerabdrücke abgenommen. Sie haben den Tatort sehr weiträumig abgesperrt. Den Kerlen entgeht nichts.«
»Die Sache mit der versuchten Vergewaltigung kannst du vergessen. Eine halbe Stunde habe ich an seinem Bett gesessen, bis er endlich die Augen aufmachte. Er fing sofort an zu reden, als er mich erkannte. Allerdings ist er kaum zu verstehen, er fragte ständig nach dieser Frau. Alberto wollte ihr helfen. Diese Vollidioten haben das nicht begriffen, für die sind alle Schwarzen Vergewaltiger und Menschenfresser. Kann es sein, dass sie Miriam heißt?«
Laurenti nickte. »Miriam Natisone. Engländerin. Journalistin.«
»Auch das noch! Die britischen Medien werden wie die Wölfe über uns herfallen,
Weitere Kostenlose Bücher