Keine Frage des Geschmacks
also früher gegangen«, sagte Laurenti. »Ich hätte dich noch gebraucht. Das nächste Mal meldest du dich gefälligst ab.«
Sie hatte endlich wieder eine dezente Frisur und frisch gefärbte Haare. Und neu eingekleidet war sie auch, allerdings in einem für ihre Verhältnisse geradezu züchtig geschnittenen safranfarbenen Kostüm, woraus Laurenti schloss, dass Bobo, der Hase, sie samt seinem Herrchen beraten hatte.
»Dafür bin ich heute früher gekommen. Es gleicht sich alles aus«, murmelte Marietta.
»Flexible Arbeitszeiten gibt es bei uns nur in Form unbezahlter Überstunden, hast du das vergessen?«
»Ich kann mich auch um eine Versetzung bewerben, wenn dir etwas nicht passt.«
»Du würdest dich wundern, einen Chef wie mich findest du nicht wieder. Ist der Bericht so weit? Ich warte.«
Das erste Mal seit langem, dass er mit seiner Gewohnheit brach. Nur ein dringender Einsatz konnte Laurenti von der morgendlichen Lektüre der Tageszeitungen und dem von Marietta gereichten Espresso abhalten.
Sie folgte ihm sogleich ins Büro, ohne Kaffee, und setzte sich ihm gegenüber.
»Ein neuer Vorschlag der Stadtregierung sieht vor, jetzt auch Hundehalter mit Strafen von dreihundert Euro zu belegen, wenn ihre kleinen Freunde das Bein heben und an Autoräder, Motorroller oder Ladeneingänge pissen.«
»Gilt das auch für weiße Hasen?«
Marietta überging seinen Kommentar. »Nur für männliche Tiere. Dafür sollen ab sofort keine Mütter mehr belangt werden, wenn ihre Kinder auf die Straße pinkeln, vorausgesetzt, sie sind unter sechs Jahre.«
»Und gibt’s vielleicht auch etwas Ernstes zu berichten?«
»Die Kollegen haben weitere Fotofallen mit Infrarotobjektiven und Bewegungsmelder im Wald installiert, die automatisch auslösen, sobald jemand in ihr Sichtfeld kommt. Sie schießen Serienaufnahmen. Die Speicherchips werden täglich ausgewertet. Weiter unten hängen solche Geräte übrigens schon länger. Die Forstbeamten haben sie zur Zählung des Wildschweinbestands und zur Beobachtung des Bewegungsverhaltens der Tiere installiert. Ganz schön scharfe Bilder. Diese Wilderer trugen übrigens wirklich AK-47-Gewehre. Mit Schalldämpfern aus Eigenbau, so wie es aussieht. Die Fotos liegen den Streifenbeamten vor. Sie werden sicher bald erwischt. Ich wurde übrigens eindringlich danach gefragt, was ausgerechnet du dort verloren hattest.«
»Ich?«
Marietta unterzog ihren Chef einem langen prüfenden Blick und fuhr nach einem leisen Seufzer mit ihrem Bericht fort. Schweigend legte sie drei Fotos auf seinen Schreibtisch. Laurenti studierte die Aufnahmen mit einer Lupe.
»Einer der Kerle ähnelt einem Arbeiter auf unserer Baustelle. Wie viel bekommt man für ein totes Wildschwein?«
Er gab Marietta die Bilder zurück, die den Aktendeckel auf ihrem Schoß fest umklammert hielt.
»Noch was?«, fragte Laurenti, als sie keine Anstalten machte, fortzufahren oder hinauszugehen.
»Anders verhält es sich mit diesen hier«, seufzte Marietta nach einer weiteren langen Pause und richtete sich abrupt auf. »Dieser Mann ist allen bekannt. Die Frau übrigens auch.«
Wie ein Pokerspieler ließ sie die Blätter auf den Tisch segeln. Laurenti traute seinen Augen nicht, seine Gesichtszüge erstarrten. Auch ohne Lupe erkannte er, um wen es sich handelte. Er nahm die Aufnahmen nicht einmal in die Hand, sondern fixierte Marietta mit versteinertem Blick. »Gibt’s noch andere?«
Sie schwieg.
»Gibt’s noch andere, habe ich gefragt!«
»Ich habe alle Fotos kassiert«, antwortete Marietta endlich. »Und den Kollegen von der Kriminaltechnik, der die Abzüge gemacht hat, habe ich zum Schweigen verdonnert. Ich habe neben ihm gestanden, als er den Speicher löschte.«
Sie stand auf und ging mit energischen Schritten hinaus. Die Tür zog sie mit Wucht ins Schloss.
Laurenti stand der Schweiß auf der Stirn. Die erste Bildfolge zeigte ihn mit Gemma durchs Unterholz stolpern. Die zweite allerdings war eindeutig. Eng umschlungen lehnten sie an einer alten Eiche, Laurentis Hände waren unter ihrer Bluse verschwunden. Auf der dritten Serie aus der Fotofalle schauten beide den Hang hinunter. Die vierte zeigte, wie sie bergauf verschwanden. Fiebernd kramte er in der Erinnerung. Mit etwas Glück war das wirklich alles, wie Marietta gesagt hatte. Die Apparate waren unten am Hang installiert. Aber was zum Teufel trieb Marietta um? Eifersucht etwa? War das der Grund für ihre schlechte Laune?
In diesem Moment erreichte ihn per SMS das
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