Keine Frage des Geschmacks
Fahrzeugs. Dann wählte sie die Telefonnummer des Fotoarchivs und trug drei verschiedenen Personen ihr Ansinnen vor, bevor sie tatsächlich mit Raffaele Raccaro verbunden wurde. Sie erzählte von ihrer Reisereportage, die sie für den »Traveller« schrieb, und dass sie erst in Triest auf ihn und sein Archiv gestoßen war, über das sie berichten wollte.
»Mal sehen, wann ich Ihnen einen Termin geben kann«, sagte Raccaro ohne weitere Fragen, und Miriam hörte Papier rascheln. »Der einzige, den ich Ihnen vorschlagen kann, ist morgen Abend um neunzehn Uhr. Passt Ihnen das?«
»Kein Problem«, sagte Miriam. »Vielen Dank.«
»Es ist leicht zu finden«, hob ihr Gesprächspartner an, doch Miriam unterbrach ihn.
»Ich weiß, wo Ihr Büro ist«, sagte sie. »Bis dann.«
Ihr Magen knurrte, trotzdem wartete sie, bis die Dunkelheit sich sanft über die Stadt legte, bevor sie sich auf die Suche nach einem Restaurant machte. Sie ging durch eine Platanenallee in der sich gut besuchte Bars und Eissalons aneinanderreihten. Durch Zufall entdeckte sie das Geburtshaus von Italo Svevo und hielt kurz inne, um die Gedenktafel zu studieren.
In der Antica Trattoria Menarosti in der Via del Toro fand sie schließlich einen freien Tisch. Ein rustikales Lokal, Schwarz-Weiß-Fotografien der Ahnen und Gemälde an der Wand, Steinfußboden und Tischdecken aus weißem Leinen. Traditionelle Fischgerichte standen auf der Karte. Als Vorspeise wählte sie ein Muschelsauté, und als sie beim Hauptgang angelangt war, Moräne in Busara-Soße, öffnete sich die Tür, und der somalische Straßenverkäufer in blauem Kaftan und mit Wollmütze manövrierte seine schwere Tasche zwischen den Tischen hindurch. Die Wirtin, eine aufmerksame ältere Dame, bat ihn in freundlichen Worten, die Gäste nicht zu belästigen. Sie staunte, als Miriam ihn »Alberto« rief und erklärte, er sei ein Freund. Der Schwarze schob seine Taschen unter den Tisch und ließ sich wie aufgefordert nieder.
»Seit wann bist du in Triest?«, fragte Miriam. »Du scheinst so etwas wie eine Institution zu sein. Jeder kennt dich.«
»Aber keiner kauft was. Den Geiz der Istrier habe ich inzwischen kennengelernt. Sieben Jahre bin ich schon hier. Es ist nicht einfach, Geld zu verdienen. Jetzt kaufen die Leute noch weniger. Alle sagen immer nur ›Wirtschaftskrise‹, aber in die Bar gehen sie nach wie vor, und glaub bloß nicht, dass sie deswegen auch nur ein Glas weniger trinken.«
»Hast du Familie?«
»Ist zu Hause.« Jetzt strahlte er übers ganze Gesicht. »Acht Kinder habe ich, drei Frauen. Wozu machst du eigentlich die ganze Zeit Notizen?«
»Ich schreibe an einer Reportage über Triest.«
»Journalistin? Meine beiden Brüder sind in Süditalien. Sie sind vor einem halben Jahr angekommen, haben Arbeit gefunden als Erntehelfer in Kalabrien. Aber das Geld, das ihnen zusteht, haben sie nie gekriegt. Und ich habe schon zu lange nichts von ihnen gehört. Schreib darüber.« Er griff unter dem Tisch nach dem Henkel seiner schweren Tasche mit dem billigen Schmuck, zog einen Armreif aus Tropenholz heraus und legte ihn vor Miriam. »Der schützt gegen böse Mächte. Für dich.«
Miriam schaute erstaunt auf. »Meinst du, dass ich ihn brauche?«
»Kann sein«, sagte Alberto und stand auf. Grußlos verließ er das Lokal.
»Arme Leute«, sagte die Wirtin. »Es sind keine guten Zeiten. Alle sparen.«
Miriam machte sich bald zu Fuß auf den Heimweg. Dreimal fuhr der Scooter, dessen Kennzeichen sie vor dem Palazzo Vianello notiert hatte, an ihr vorbei. Sein Fahrer hatte auch in der Nacht das dunkelgetönte Visier seines Helmes geschlossen. Zuletzt entdeckte sie das Fahrzeug in der Nähe des Hotels nur ein paar Meter von einer Bar entfernt, vor der sich die Gäste auf dem Gehweg drängten. Miriam beobachtete die Leute eine Weile von der anderen Straßenseite, doch im matten Licht der Straßenlaterne konnte sie sie kaum voneinander unterscheiden. Sie beschloss, noch einen Drink zu nehmen, und schob sich durch das Getümmel. Die Blicke der jungen Männer folgten ihr, als sie in das Lokal ging. Am Tresen orderte sie einen Gin Tonic und drehte sich schlagartig um. Nichts. Doch ein unbestimmtes Gefühl sagte ihr, dass sie beobachtet wurde.
Gelb
»Guter Geschmack. Endlich haben wir die Sonne im Büro«, kommentierte Proteo Laurenti, als er sein Vorzimmer betrat. Er blinzelte, als würde er geblendet.
Marietta sortierte die Post und würdigte ihn keines Blicks.
»Deswegen bist du gestern
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