Keine Frage des Geschmacks
produziert wurde, der Bewegung der »Città Slow« beigetreten war. Was erzählte seine Schwiegermutter wohl über ihn? Dass er seine Socken auf dem Sessel liegen ließ, wenn er sich spätabends vor dem Fernseher die Füße massierte? Dass er nackt vom Schlafzimmer ins Bad ging und einen Pickel auf der Arschbacke hatte? Proteo wartete mit dem Einschenken, bis die Alte zurück zu ihrem Fernseher gegangen war. Und dann goss er gleich zum zweiten Mal nach. Die Pasta schmeckte köstlich.
Patrizia, die vor vierzehn Wochen Proteo und Laura zu Großeltern gemacht hatte, als sie die kleine Barbara gebar, hatte beschlossen, so früh wie möglich wieder arbeiten zu gehen. Den, wie inzwischen üblich, befristeten Job hatte sie dank Lauras Kontakte gefunden. Und der Kindsvater, Gigi, war ohnehin fort. Von Barbaras Geburt hatte er per Satellitentelefon erfahren. Das Containerschiff, auf dem er als Erster Offizier arbeitete, durchquerte gerade die Straße von Malakka, die Meerenge zwischen Malaysia, Singapur und Indonesien, und von der Besatzung war höchste Aufmerksamkeit gefordert, nutzten diese Route doch bis zu sechshundert Schiffe täglich, und Piratenangriffe erschwerten die Passage noch zusätzlich. Stunden später, als es wieder ruhiger geworden war, rief Gigi zurück. Glückstrahlend ließ er sich sein Töchterlein beschreiben und den Verlauf der Geburt, und Patrizia berichtete freudig, wenn auch mit matter Stimme. Und später schickte sie ihm Fotos aufs Mobiltelefon. Gigi wäre am liebsten stante pede nach Hause geflogen, doch in diesen Krisenzeiten lagen immer mehr Schiffe an der Ankerkette, die Frachtrate für Container nach Europa war um fast siebzig Prozent gefallen. Wer riskierte in einem solchen Moment schon seinen Job. Und wenn alles gutging, dann machte er noch in diesem Jahr sein Kapitänspatent – was allerdings keinen Einfluss auf seine Arbeitszeit haben würde: Vier Monate auf See, zwei zu Hause, so lautete die Regel in der Schifffahrt. Der Seemann war Laurenti nach anfänglicher Skepsis inzwischen sympathisch. Alle im Haus mochten den zukünftigen Kapitän der »Italia Marittima«, die aus dem Triestiner Lloyd hervorgegangen war und zur Flotte eines taiwanesischen Großreeders gehörte.
Als er den Teller leer gegessen hatte, kam Patrizia endlich vom Windelwechseln und trug die Kleine im Arm.
»Barbarella!«, rief er entzückt und nahm sie ihr ab. Er lächelte zufrieden und küsste seine Enkelin, die ihn mit großenAugen anstarrte, sich aber gleich aus seinen Händen wand und zu weinen begann.
»Sie hat Hunger«, sagte Patrizia und setzte sich an den Tisch, um das Kind zu stillen. »Hast du so lange gearbeitet? Ist etwas passiert?«
Was für ein Glück, dass Laurenti einen Beruf hatte, der viele interessierte – vor allem dann, wenn es für ihn selbst am anstrengendsten war, weil die Ermittlungen nicht vorangingen und er kaum Lust hatte, darüber zu reden.
»Und was hast du heute gemacht?«, fragte er.
»Ach, das Übliche. In der Früh viel Bürokratie. Anträge einreichen, Genehmigungen einholen, Sponsoren anschreiben – Archäologie bedeutet leider nicht nur graben. Und die ›Mercurio‹, das Schiff, das 1812 vor Grado von den Engländern versenkt wurde, gibt zur Zeit einiges her. Leider darf ich noch nicht wieder tauchen, hat die Ärztin gesagt. Meinst du, Gemma ist wirklich gut in ihrem Beruf?«
»Warum?« Laurenti horchte auf. Auch Patrizia war inzwischen bei ihr in Behandlung.
»Die ›Mercurio‹ liegt achtzehn Meter tief im offenen Meer. Das meiste an Bord ist bestens erhalten. Ich habe keine Lust, nur die Schreibtischarbeit für meine Kollegen zu erledigen, während sie selbst den spannendsten Teil abbekommen und ich dann lediglich die Fotos anschauen darf.«
»Wenn Gemma das rät, dann würde ich mich daran halten. Sie ist eine sehr gute Ärztin. Seit ich mich in ihren Händen befinde, lebe ich richtig auf. Und außerdem, solch ein altes Schiff holt man doch nicht an einem Tag hoch. Hast du heute eigentlich schon etwas von Gigi gehört? Welchen Hafen läuft er als nächstes an?«
»Sie nehmen gerade in Dschibuti Container aus Äthiopien auf. In fünf Tagen kommt er nach Hause, dann hat er zwei Monate frei.« Patrizias Stimme klang gleichgültig. »Und dann wird er auch seine Tochter kennenlernen.«
Sie setzte Barbara ab und bettete sie in die alte, hölzerne Wiege, die Laurentis Schwiegermutter bei ihrem Einzug mitgebracht hatte und in der, wie sie behauptete, schon Laura gelegen
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