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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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zweiten Instanz. Einmal wegen Bestechung in einer öffentlichen Ausschreibung, in der wir alle Beweise in der Hand haben, die Gegenseite aber ein Gegengutachten nach dem anderen fordert. Der zweite Fall ist Vorteilnahme in Raccaros Funktion als Aufsichtsrat eines Energieversorgers. Und im dritten vertreten wir für unsere Londoner Partner den Lloyds of London. Die Sache läuft seit dem Sommer 2006 – damals war ein ziemlich schlechtes Licht auf den Triestiner Kaffeehafen gefallen, weil einer halben Million Säcke Robusta-Kaffee aus Vietnam das Zertifikat entzogen wurde.«
    »Ach ja?« Klar, dass ihr keiner der Kaffeespezialisten, die sie interviewt hatte, eine solche Geschichte erzählen wollte. »Was ist da passiert?«
    »Schimmelbefall durch Feuchtigkeit«, führte Aiazzi achselzuckend aus. »Die einen sagen, das Palettenholz sei feucht gewesen, die Konkurrenten aus Hamburg behaupteten, die Lagerbedingungen in Triest entsprächen nicht der Norm. Der Kaffeepreis an der ›Euronext.Liffe‹, der Terminbörse in London, stieg auf ein Siebenjahreshoch. Der Lloyds musste für den Schaden einstehen, der am Ende aber nur fünfundzwanzigtausend schimmelbefallene Säcke Kaffee betraf. Und genau diese eintausendfünfhundert Tonnen kaufte eine der Firmen von Raffaele Raccaro direkt der Versicherung ab. Freilich ohne jemals zu bezahlen. Im Gegenteil, diese Firma behauptete plötzlich, betrogen worden zu sein. Die Sache wird sich noch lange hinziehen.«
    »Was haben die wohl mit dem Zeug gemacht?«, fragte Miriam angeekelt. Aus ihrer Kindheit wusste sie genau, wie verdorbener Kaffee aussah und schmeckte.
    »Wir nehmen an, dass Raccaro es klammheimlich von einer auswärtigen Rösterei hat verarbeiten lassen und dann ruck, zuck als Preisknüller, als Köder, in seinen Supermärkten an die Ahnungslosen verhökerte. Keine Seltenheit im Lebensmittelhandel, dass mit Gammelware auch noch Profit gemacht wird. Wenn es Sie wirklich interessiert, dann suchen Sie in alten Zeitungen nach großformatiger Werbung für Kaffee-Sonderangebote, mit der die Kunden geködert wurden.«
    Die Information, die der Anwalt ihr en passant mitteilte, war schmuckes Beiwerk für ihre Reportage: Ein Lieferausfall an der Adria trieb den Preis für die Sorte Robusta an den Weltbörsen auf ein historisches Hoch. Eine so große Bedeutung hatte sie dem Triestiner Hafen zuvor nicht beigemessen, doch vermutlich nutzten solche Meldungen vor allem den Spekulanten im Terminhandel, um mit den Kursen ihre Profite hochzutreiben. Genauso wie es Lele Raccaro mit der Schimmelware betrieben hatte. Einmal schnellte der Preis nach oben, einmal nach unten. Aber Lele kalkulierte offenbar noch raffinierter, denn der Preis, den er mit dem Lloyds of London aushandelte, hatte die Verteuerung des Marktes nicht berücksichtigt. Dafür lag dann im Einzelhandel in Zeiten der Höchstpreise auch ein Dumpingpreis für Schrottware zwangsläufig höher als gewöhnlich und brachte somit eine doppelt gute Marge. Der Mann war mit allen Wassern gewaschen und über die Schädlichkeit von Schimmelbefall natürlich erhaben. Die betraf höchstens seine nichtsahnenden Kunden. Wer kam schon dahinter, bei einem zeitlich befristeten Angebot? Miriams Story würde funktionieren. Die angenehmen Begegnungen mit den Leuten aus dem Kaffee-Gewerbe während der letzten Tage ließen sich als positive Seite beschreiben. Lele bekäme sein Fett weg, jene aber brillierten.
    »Die Klageschrift aus London wurde übrigens heute Nachmittag sowohl der Staatsanwaltschaft als auch Raccaros Bürozugestellt.« Aiazzi zeigte ihr die Kopie der Empfangsquittung, die von Leles Sekretärin unterschrieben war. »Aber ich befürchte, dass seine Anwälte auch hier auf die Tricks setzen, die unser Rechtssystem zulässt und die auch unseren Regierungschef mehrfach vor der Verurteilung gerettet haben. Nun, wenn Sie wirklich nicht von Ihrem Vorhaben abzubringen sind …« Fausto Aiazzi legte einen Schlüsselbund auf den Tisch. »Es ist ein exklusives Appartement in der Strada del Friuli 98, das einem Kollegen gehört. Sie werden sich wohlfühlen, phantastische Aussicht. Am besten, Sie bleiben dort und verlassen das Haus nur für das Allernötigste. Ein paar Geschäfte befinden sich in der Nähe.«
     
    *
     
    Mit dem Taxi war sie von der Anwaltssozietät »Beltrame, Grandi & Kraft Associati« zur Strada del Friuli 98 gefahren und hatte unterwegs in einem Supermarkt die nötigen Einkäufe getätigt. Die Wohnung im obersten Stock hatte

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