Keine Frage des Geschmacks
erreichbar. Aber warum fragst du eigentlich nicht Pina, es ist ihr Fall?«
Phantastisch. In Triest hatte man den großen Vorzug, ineiner seltenen Einheit mit dem Meer zu leben. Das Wasser war sauber, mitten in der Stadt konnte man baden gehen, und viele besaßen prächtige Segelboote. All diese Behaglichkeiten schlugen sich in der Arbeitsmoral nieder. Musste man sich wirklich erst nachweislich ermorden lassen, damit der Chefpathologe am Freitagnachmittag Zeit für einen hatte? Dem alten Galvano wäre das nie passiert.
»Und sonst hat er nichts gesagt?« Laurenti klammerte sich ans Lenkrad, obgleich sein Wagen stillstand.
»Doch, doch. Das Hämatom an der rechten Hüfte könnte von seiner Lage her auch von einer Reling oder Bordwand stammen. Da Birkenstock stark alkoholisiert war, könnte er vielleicht von einem Boot gefallen sein«, sagte Marietta gleichmütig und wusste nicht, dass sie dem Toten damit einen Namen gegeben hatte, der sich zukünftig durch sämtliche Akten ziehen und schließlich bei der Staatsanwältin zu einem Tobsuchtsanfall führen sollte.
»Also hat Zerial sich doch mit der Leiche beschäftigt.«
»1,8 Promille und zugekokst war er auch. Bist du jetzt fertig?«, fragte Marietta ungeduldig.
»Nein, nimm bitte noch folgendes Protokoll auf und überstell es sofort der Staatsanwältin, es ist dringend …«
»Verdammt noch mal! Ich habe soeben den Computer ausgeschaltet.« Die Stimme seiner Assistentin schlug über die Lautsprecher zurück wie ein langersehntes Sommergewitter.
»Dann sei bitte so gut und schalt ihn wieder ein, Marietta!«
»Hat das nicht Zeit bis Montag?«
»Erstens sagte ich ›bitte‹, zweitens sagte ich ›dringend‹, und drittens ist dies ein Befehl, also schreib gefälligst mit, bevor ich mir hier im Stau in die Hose pinkle. Das muss heute noch raus!«
»Was?«
»Das Schreiben!«
Laurenti diktierte.
»Hast du alles?«, fragte er schließlich. »Dann lies es mir bitte noch einmal vor.«
Marietta räusperte sich missmutig und wiederholte: »Triest, Datum und so weiter … Adressat Staatsanwaltschaft Triest, Magistratin Dottoressa Iva Volpini.
Betrifft: Überstellung des Giulio Gazza, geboren am 1. Juni 1966 in Triest, derzeit im Untersuchungsgefängnis Udine, laut Haftbefehl von heute, 27. Juli dieses Jahres.
Das Polizeipräsidium Triest, vertreten durch Vizequestore Proteo Laurenti, beantragt die unverzügliche Überstellung des Inhaftierten in das hiesige Untersuchungsgefängnis. Die heutige Einvernahme des Gazza und die Ergebnisse der Hausdurchsuchung in der Via dell’Eremo erschweren den Verdacht, dass der Inhaftierte der Urheber der versuchten Erpressung der Engländerin Jeanette McGyver ist. Siehe Anzeige vom Soundso… Um umgehende Überstellung wird dringend ersucht, damit der Verdächtige innerhalb der gesetzlichen Frist dem Untersuchungsrichter in Triest vorgeführt werden kann. Das Prozedere der Ermittlungsarbeit wird durch eine Verlegung des Gazza beschleunigt. Gezeichnet und so weiter.«
Nachdem Laurenti noch eine Korrektur eingefügt hatte, bedankte er sich übertrieben und wünschte seiner Assistentin ein unbeschwertes Wochenende voll sinnlichen Vergnügens. Seine Bemerkung über den Hasenträger samt »Bobo« verbiss er sich und legte auf, bevor Marietta kontern konnte.
Er schloss ein paar Meter auf, nachdem die Kolonne sich wieder einmal ein Stück bewegt hatte. Der Druck auf seine Blase war inzwischen unerträglich. Laurenti tastete mit der Hand den Fußraum ab und fand unter dem Sitz eine leere Mineralwasserflasche. Er rutschte auf dem Fahrersitz so weit nach vorne, dass er mit der Brust das Lenkrad berührte, worauf ein kurzer Hupton erklang. Neben ihm stand ein mitBleichgesichtern vollbesetzter Opel-Minivan: Surfbretter auf dem Dach, Mountainbikes am Heckträger und hochaufgeschichtetes Reisegepäck im Fond. Als er die amüsierten Blicke der Urlauber bemerkte, die mit bunten T-Shirts, Chipstüten und Energydrinks in silberblauen Mozart-Dosen ausgestattet waren, hatte er die Flasche fast zum Überlaufen gebracht. Er verschraubte sie, atmete entspannt auf und lehnte sich zurück. Und endlich setzte sich die Schlange auf dem Standstreifen in Bewegung. Bald wäre er zu Hause.
*
Gazza hatte schlapp an seinem Schreibtisch gesessen und Laurenti mit weit aufgerissenen Augen angestarrt, als der mit zwei uniformierten Kollegen aus Udine sein Büro betrat und ihm den Haftbefehl unter die Nase hielt. Staatsanwältin Volpini hatte keine
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