Keine Frage des Geschmacks
zurückgeflogen war, hatte Raffaele Raccaro seine Sekretärin gebeten, alle Termine für die nächsten Tage abzusagen. Er fühle sich müde und ausgezehrt, müsse dringend ein paar Tage ausspannen. Dann diktierte er ihr eine Liste von Delikatessen, die sie in einem seiner Supermärkte zur Anlieferung am Anleger seiner Yacht im Sporthafen von Grignano bestellte. Zuletzt hatte er seine Gespielin verständigt und sie auf das Schiff befohlen.
Kaum hatten sie die Muschelzuchten vor der Küste passiert, drückte Lele den Knopf der automatischen Winsch und setzte die rostroten Segel. Hoch am Wind krängte das Schiff sich unter dem Libeccio und lief fröhlich über die Wellen. Sein Bug zeigte auf die Punta di Barbacale im Westen. Vittoria reichte ihm ein Glas Champagner und schmiegte sich an den kleinen Mann.
»Und, wohin segeln wir, Süßer?«, gurrte sie. »Ich habe keine große Garderobe dabei.«
»Die brauchst du auch nicht. Heute fahren wir nicht weit. Gegen sieben sind wir da, und du bleibst auf dem Boot, bis ich zurückkomme. Morgen Vormittag.«
»Was? Eine ganze Nacht alleine auf diesem Kahn? Das ist aber schrecklich langweilig.«
»Du wirst es aushalten. Der Kühlschrank ist gut gefüllt, einen Fernseher hast du auch. Kein Landgang, verstanden? Ich bezahle nicht für andere.«
*
Gilo Battinelli löste sich gegen Margheritas Protest aus ihrer Umarmung, als er endlich den Zweimaster ausmachte. Er hatte felsenfest damit gerechnet, dass Raccaro wie die meisten Urlauber einen Südkurs wählte, auf den Leuchtturm von Savudrija zu, an der nordwestlichen Landzunge der istrischen Halbinsel vorbei und weiter zur dalmatischen Küste. Gilo war eine Stunde vorher ausgelaufen, hatte die »Kitty«, sein 32er-Boot, nach ein paar Meilen in den Wind gestellt, die flatternden Segeln gerefft und eine Flasche Prosecco aus dem schmalen Kühlschrank in der engen Kajüte geholt, die als Koch- und Schlafplatz gerade ausreichte.
»Später, Liebe«, sagte er und griff nach dem Fernglas. »Ich habe dir doch gesagt, dass es sich bei unserem Ausflug um eine heimliche Regatta handelt. Wir müssen den Kurs wechseln.«
»Und du willst mir wirklich nicht verraten, wohin?«
»Ich weiß es doch selbst nicht. Du kennst meinen Beruf.«
»Und wer ist unser Gegner?«, fragte Margherita und folgte seinem Blick, um zu erraten, wen Gilo im Visier hatte.
Die Siebenunddreißigjährige mit dem blonden Kurzhaarschnitt arbeitete als Übersetzerin für eines der naturwissenschaftlichen Institute, übersetzte englische Fachliteratur ins Italienische. Sergio, ihr Mann, den sie seit ihrer Schulzeitkannte, war Ingenieur auf einer Off-Shore-Ölplattform zwanzig Kilometer vor der sizilianischen Küste. Seine entbehrungsreichen Einsätze dauerten stets mehrere Monate, dafür brachte er einen Haufen Geld steuerfrei nach Hause. Von Anfang August bis Mitte September würden Margherita und er Urlaub in Polynesien machen. Bis dahin aber konnte sie tun und lassen, was sie wollte.
Gilo trimmte sein schnittiges Boot, das sogleich Fahrt aufnahm, und hielt einen zwei Seemeilen entfernten Parallelkurs zur schwerfälligeren »Greta Garbo«. Raccaro konnte keinen Verdacht schöpfen. Doch wo zum Teufel wollte er hin? Bei Grado segelte er gemächlich unter der Küste, holte wenig später die Segel ein und warf Anker. Durch das Fernglas konnte Gilo unschwer erkennen, wie die Badeleiter von der Bordwand gelassen wurde und Lele hinter einer üppigen Nackten her ins Wasser sprang.
»Ich glaube, jetzt haben auch wir ein bisschen Zeit, Margherita«, sagte er.
In der Mitte des Tagliamento verlief die Grenze zwischen Friaul-Julisch Venetien und der Nachbarregion Veneto. Als einer der letzten Wildflüsse der Alpen mäanderte er einhundertsiebzig Kilometer in seinem weit ausgedehnten Schotterbett vom Mauriapass durch das flache südliche Friaul und verengte sich erst wenige Kilometer vor der Adriaküste. Bei Lignano tuckerte die »Greta Garbo« durch die Flussmündung zur Marina Uno, in der Raccaro noch von Triest aus einen Liegeplatz reserviert hatte, für den das Schiff eigentlich zu lang war. Er gehörte zu den Investoren, die 1982 den Ausbau des Freizeithafens betrieben hatten, an dem er nach wie vor einen profitablen Anteil hielt. Auch an einem Hotel in dem Ferienort war er beteiligt, und einer seiner Supermärkte nahe der Mole war das Ziel vieler Skipper, die sich dort mit Proviant eindeckten.
Aus der Ferne beobachtete Gilo Battinelli besorgt das Manöver. Mit
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