Keine Frage des Geschmacks
Glück würde auch er dort festmachen können, trotz Hochsaison, die »Ketty« war eben ein kleineres Schiff. Schwieriger war es jedoch, von Lele unbemerkt einzulaufen und ihn beim Manövrieren nicht aus den Augen zu verlieren.
Kaum hatte Gilo das Boot vertäut, überließ er Margherita die Formalitäten der Anmeldung. Er hatte ihren breitkrempigen gelben Sonnenhut tief ins Gesichts gezogen und trug eine dunkle Brille auf der Nase, so lief er zur Ausfahrt der Marina. Während Vittoria an Bord geblieben war, hatte Lele ein Taxi bestiegen und war bereits außer Sichtweite. Nur die Wagennummer hatte der Polizist noch erkannt. Ein herrenloses Mountainbike lehnte am Zaun, Gilo schnappte es, ohne sich umzuschauen, und trat kräftig in die Pedale. Lignano Pineta und Sabbia d’Oro waren künstlich angelegte Badeorte mit hochgezogenen Hotelsilos und langen Sandstränden, wo Sonnenschirme und Liegestühle wie Soldaten aufgereiht standen. Die langen Promenaden waren voller Menschen, vom Taxi des Kaufmanns keine Spur. Völlig außer Atem, hielt der Polizist schließlich an, zog sein Mobiltelefon aus der Tasche und bat seine Kollegin Pina Cardareto um Hilfe. Die Taxizentrale hätte ihm ganz gewiss keine Auskunft gegeben. Als Polizist konnte sich telefonisch schließlich jeder ausgeben. Pina erfragte Hilfe von den Kollegen des Polizeiposten Lignano und rief ihn wenig später zurück. Der Fahrer hatte Lele vor dem einzigen Fünf-Sterne-Kasten im Ort abgesetzt. Unmöglich konnte Gilo dort in T-Shirt, Badehose und Sonnenhut auftreten. Er radelte zurück zur Marina Uno, wo ihn der Besitzer des Fahrrads wütend erwartete.
»Toller Service hier«, sagte Gilo, als er es an den Zaun lehnte. »Andere Marinas stellen keine Gratisräder zur Verfügung.«
Der unrasierte Freizeitkapitän stellte sich ihm in den Weg. »Werd bloß nicht frech, sonst setzt es was. Du bleibst, bis diePolizei kommt. Mit Fahrraddieben machen wir hier kurzen Prozess.«
»Knüpft ihr sie etwa auf, wie Pferdediebe im Wilden Westen? Von was für einem Diebstahl redest du eigentlich? Da steht dein Drahtesel. Hat ihn jemand gestohlen? Wenn du das den Bullen erzählst, bringen sie dich ruck, zuck zum Psychiater.« Gilo tippte sich lachend an die Stirn. »Kauf dir einen Sonnenhut. Einen wie diesen hier, dann erkennt dich niemand.«
Auf der »Ketty« bat er Margherita, sich rasch hübsch anzuziehen. Jetzt war sie am Zug. Amüsiert folgte sie seiner Bitte. Während sie sich zurechtmachte, beschwor Battinelli sie, die Sache für sich zu behalten. Gegen Raccaro vorzugehen war gefährlich.
»Und was machst du so lange?«, fragte Margherita.
»Ich bleibe auf dem Boot. Schick mir eine Nachricht, wenn du ihn ausfindig gemacht hast. Dann sehen wir weiter. Unwahrscheinlich, dass er heute Abend wieder ausläuft. In zwei Stunden ist es dunkel.«
Ein Taxi brachte Margherita zum Arco del Grecale. Aufrecht stakste sie in die Halle, die schweren roten Sitzgarnituren waren kaum belegt. Wer saß schon drinnen bei einem solchen Wetter? Sie entdeckte Raccaro im Hotel-Park mit drei Männern von kräftiger Statur in sommerlichen Armani-Anzügen, die ihn an Körpergröße weit überragten. Einer trug einen Aktenkoffer in der linken Hand. Sie sprachen englisch miteinander, während sie an der gut besetzten Restaurantterrasse neben dem Pool entlangflanierten und ins klimatisierte Restaurant verschwanden, dessen Tische alle fein gedeckt, aber nicht besetzt waren. Dort könnten sie ungestört reden.
Margherita schickte eine SMS, und Battinelli antwortete umgehend.
»Kannst du dich in die Nähe setzen? Halt die Ohren auf.«
Sie murmelte etwas von einer Allergie und sagte dem Kellner, dass sie auch für die nächsten drei Abende einen Tisch benötigte.
»Die Rechnung geht auf die Vierhundertzwei.« Lele nannte dem Sommelier seine Zimmernummer und bestellte Champagner. »Wir beginnen mit einem ›Cristall Rosé‹ von Krug.«
Sie wählte einen Platz zwei Tische weiter, von dem aus sie den Männern den Rücken zukehrte. Wer andere belauscht, verrät sich leicht mit den Augen.
Die Speisenauswahl war eindeutig für Touristen aus dem Norden gemacht, dachte Margherita, die Weinkarte bot hingegen ein schönes Sortiment für ein solventes Publikum, das die großen Namen suchte. Und wie zur Bestätigung vernahm sie ein »Za sdarówje«, nachdem der Kellner den Herren eingeschenkt hatte. Russen also. Schon an der Rezeption waren ihr Hochglanzprospekte in Russisch aufgefallen.
»Prijátnawa
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