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Keine Gnade

Keine Gnade

Titel: Keine Gnade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Annechino
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riesigen Welle ritt, einen kleinen Tisch, auf dem alte Magazine herumlagen. Der Geruch von Desinfektionsmitteln, wie er in Krankenhäusern immer vorkam, stieg ihr in die Nase. Das letzte Mal hatte sie in diesem Warteraum ­gesessen, als ihr Vater auf der Intensivstation um sein Leben gekämpft hatte. Irgendwo in diesem Krankenhaus ging es nun ihrer Mutter genauso: Sie lag in einem Bett, hatte Schläuche in der Nase, an ihren Armen und in der Kehle. Sie wartete hier nun schon seit über zwei Stunden, und niemand hatte auch nur den Kopf um die Ecke gesteckt, um sie auf dem Laufenden zu halten. Es kam ihr grausam vor und unmenschlich, völlig allein in diesem muffigen Raum sitzen zu müssen.
    Samis Tochter Angelina hatte schon ihren Vater verloren, und die einzigen Familienmitglieder, die sie außer ihr noch hatte, waren Großmutter Rizzo und Kusine Emily. ­Josephine, einst Samis größte Kritikerin, war deren größte Stütze geworden, nachdem sie beinahe von Simon getötet worden war. Über viele Jahre hinweg hatte Josephine Sami mit ihrer aufdringlichen und manipulierenden Art das Leben zur Hölle gemacht. Aber irgendwie hatte sich die alte miesepetrige Frau völlig gewandelt. Das hieß nicht, dass Josephine nicht öfter mal unfaire Bemerkungen losließ, aber die Häufigkeit und Intensität hatten beträchtlich abgenommen und ließen Sami glauben, dass sogar Senilität ihre guten Seiten hatte.
    Sami betete nicht oft. Aber in diesem besonderen Augenblick ertappte sie sich dabei, wie sie Gott darum bat, ihre Mutter zu retten.
    Sie hob ihren Kopf und bemerkte einen jungen Arzt im weißen Kittel mit einem Stethoskop um den Hals in der Tür stehen. Er lächelte freundlich und ging auf Sami zu.
    Â»Miss Rizzo?« Er streckte ihr seinen rechten Arm ent­gegen und schüttelte fest ihre Hand.
    Sie stand auf, und der Arzt nahm liebevoll ihre Hand zwischen seine beiden.
    Komisch, dachte Sami, wie herzlich er ist. Die meisten Ärzte, die sie in all den Jahren getroffen hatte, waren ihr eher wie Eisberge vorgekommen. Sie war sich sicher, dass sie ihm noch nie begegnet war, obwohl er ihr irgendwie bekannt vorkam.
    Â»Ich bin Doktor Templeton, Chef der Herzchirurgie.«
    Templeton ? War dies der Templeton, den die Handelskammer zum Mann des Jahres erkoren und über den sie erst vor ein paar Tagen gelesen hatte? Der Vorsitzende eines Komitees, der den Präsidenten höchstpersönlich in Angelegenheiten des Gesundheitswesens beriet? Er schien für so einen angesehenen Posten viel zu jung zu sein. Sie versuchte, in seinen Augen einen Hinweis darauf zu finden, was er ihr zu sagen hätte.
    Â»Warum setzen Sie sich nicht, Miss Rizzo.«

    Al kam auf dem Revier an und parkte seinen Wagen in der Tiefgarage. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er Sami im Krankenhaus alleingelassen hatte, und kam sich vor, als hätte er sie verraten. Seit ihrer Nahtoderfahrung war sie so fragil, aber für ihn stand außer Zweifel, dass sich das wieder geben würde. Von dem Tod ihres Vaters einmal abgesehen, hatte es keine Zeit gegeben, in der sie seine Unterstützung so dringend gebraucht hätte. Er hatte in ihren Augen gesehen, wie verzweifelt sie war, doch Al versuchte, zwischen seinem Privatleben und seiner Karriere eine feine Balance herzustellen. Die Arbeit bei der Polizei verlangte seine ungeteilte Aufmerksamkeit, und ab und zu musste er sich zwischen Samis Wohlergehen und seinen Pflichten als Detective bei der Mordkommission entscheiden. Und offen gesagt war er sich nicht ganz im Klaren darüber, ob er die Verantwortung übernehmen wollte, die mit einer festen Beziehung auf ihn zukam.
    Al haderte andauernd mit seinen Gefühlen für Sami. Wenn sie zusammen waren, war er völlig zufrieden und überzeugt, dass ihre Beziehung das Richtige für ihn war. Doch wenn sie getrennt waren, genoss er jeden einzelnen Augenblick seiner Freiheit. Nachdem er sein ganzes Erwachsenenleben allein gelebt hatte, hatte er immer das getan, worauf er Lust hatte, und zu einem Zeitpunkt, den er bestimmte. Da stapelte sich die schmutzige Wäsche bis in den Himmel, sieben Tage die Woche aß er Pizza und Fastfood, kratzte sich im Schritt, schaute sich Sport im Fernsehen an, bis ihm die Augen rauskamen. Nun war sein Leben geregelter, und er musste sich auch noch um das Wohler­gehen einer anderen Person kümmern. Er hatte nicht das Gefühl, dass Sami und er

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