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Keine große Affäre

Keine große Affäre

Titel: Keine große Affäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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an zu schieben. Zu solchen Gelegenheiten wünschte sie
sich, jemand würde eine Art Skilift für Radfahrer erfinden. Man könnte auf dem
Rad Sitzenbleiben, eine T-förmige Stange hinter dem Sattel einhaken und sich
nach oben ziehen lassen. Wenn man diese Lifts strategisch günstig an den
Steigungen Londons anbrachte, würden bestimmt mehr Leute mit dem Drahtesel zur
Arbeit fahren. Das wäre eine vernünftigere Investition als völlig nutzlose
Radwege auf die Hauptstraßen zu malen, die von den Autofahrern sowieso
ignoriert wurden und urplötzlich verschwanden, wenn die Straßen zu eng wurden
und man sie wirklich nötig hatte. Und wenn mehr Leute zur Arbeit radelten,
wären die Abgase, die in heißen Nächten wie dieser über der Themse hingen,
vielleicht nicht ganz so beißend. Wieso fiel Politikern nie sowas ein?
    Als der Hügel steiler wurde und sie
immer mehr außer Atem geriet, ertappte sie sich dabei, wie sie sich ihre Lunge
vorstellte. Sie sah aus wie ein gelber Bohnerschwamm, den sie einmal ganz
hinten im Schrank unter der Spüle gefunden hatte und der mit der Zeit hart
geworden war. Ginger befahl sich selbst, an etwas Angenehmeres zu denken. Die
Leute, die behaupteten, Schwangerschaftshormone wirkten beruhigend, erzählten
Märchen. Genauso wie über viele andere Aspekte ihres Zustandes. Von dem Tag an,
als sich der Kreis im Fenster des weißen Urinstabs aus Plastik dunkelblau
gefärbt hatte, war Ginger von Alpträumen und fast grotesken Vorstellungen
gequält worden. Kein Wunder, daß sie einem rieten, keinen Alkohol zu trinken
oder »Freizeitdrogen« zu nehmen, dachte sie. Obwohl sie manchmal, wenn sie sich
am frühen Morgen nach dem siebten oder achten Toilettenbesuch nichts sehnlicher
wünschte als ungestörten Schlaf, schon so weit gegangen war, die Kappe der halb
ausgetrunkenen Stolichnayaflasche abzuschrauben, die ganz hinten auf ihrem
vollgestellten Kaminsims stand. Aber sie hatte der Versuchung immer
widerstanden, da sie sich schon genug Sorgen darüber machte, daß der Embryo in
der Nacht der Empfängnis in ihrem wodkagesättigten Blut umhergeschwommen war.
    Eigentlich freute sich Ginger sogar
auf die Geburt. Es war ihr egal, wie schmerzhaft es war, denn irgendwann, nach
einem oder auch zwei Tagen, mehr als drei Tage dauerte es bestimmt nicht, würde
es vorbei sein. Ihr Hausarzt hatte sich köstlich amüsiert, als sie ihm das bei
der letzten Untersuchung gesagt hatte, und erwidert: »Babys machen viel mehr
Ärger, wenn sie erstmal da sind.« Sie hatte gedacht, daß er schon Klügeres von
sich gegeben hatte. Natürlich war ihr klar, daß es schwieriger wäre, sich um
ein anderes Lebewesen zu kümmern als um einen dicken Bauch. Besonders, wenn es
sich um so einen Winzling handelte, der weder sprechen noch Schinkensandwich
essen konnte. Aber wenigstens wäre sie wieder sie selbst, mit intakter Blase
und funktionierendem Gedächtnis.
    Ginger hielt an, um Atem zu schöpfen.
Sie spürte, wie ihr Puls in ihrem Schädel hämmerte. Abseits des heißen Asphalts
der verkehrsreichen Hauptstraße schien die Luft ein Grad kühler zu sein, und
eine leichte Brise kühlte den Schweiß, der an ihren Schläfen herabrann. Das
Baby fing an zu treten, als sei es durch die leichte Temperaturveränderung
aufgewacht. Sie beobachtete, wie eine winzige Faust oder ein Fuß gegen die
Bauchdecke stieß und kleine Wellen schlug wie eine Maus unter einem Teppich. Er
(sie war sicher, daß es ein Junge war) wachte immer um diese Zeit auf, gerade
wenn sie ans Schlafengehen dachte. Tagsüber, wenn sie auf Achse war, trat er
nicht oft. Aber wenn sie sich Ruhe gönnte, schien er aufzuwachen und ihre
Aufmerksamkeit einzufordern. Aber selbst wenn sie kurz davor war, völlig zu
verzweifeln, machte es sie immer glücklich, die Vitalität dieses Lebens in sich
zu spüren, zu wissen, das war ein Kind, das wirklich geboren werden wollte.
    Ginger lächelte, nahm das Rad von dem
Zaun, an dem es lehnte, und machte sich wieder auf den Weg. Ihre Wohnung lag in
der Häuserreihe ganz oben auf dem Hügel. Sie heftete den Blick auf den
Bürgersteig, während sie ging. Sie wollte sich das Hochgefühl, das der schöne
Ausblick in ihr auslöste, als Belohnung dafür aufheben, oben angekommen zu
sein. Sie lebte erst seit ein paar Monaten auf dem Hügel. Hermione, ihre
geliebte Großmutter, war im Frühling plötzlich und unerwartet gestorben und
hatte alle damit überrascht, daß sie die Parterrewohnung, in der sie wohnte,
seit sie Witwe geworden war,

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