Keine halben Küsse mehr!: Roman (German Edition)
noch genug Platz für dich im Abteil ist, und dich noch durch die bereits langsam zugehende Tür quetschst, in der irrigen Annahme, du hättest keine Zeit, um die eine Minute auf den nächsten Zug zu warten. Und da steckt man dann, wie ich heute Morgen, zwischen zwei korpulenten Herren mittleren Alters, macht sich so klein wie möglich, den Blick zu Boden gesenkt, und versucht so wenig wie möglich vom nicht vorhandenen Sauerstoff einzuatmen. Festhalten kann man sich nirgends – au ßer, man ist bereit, einen der Gentlemen in liebevoller Hingabe zu umarmen, um an eine der Haltestangen heranzukommen – wozu ich beim besten Willen nicht bereit war. Das Einzige, was mir übrig blieb, war, mich mit den flachen Händen, so gut ich konnte, an der Tür abzustützen, während wir rüttelnd und ruckend dahinbrausten, und zu beten, die U-Bahn möge mich wieder ausspeien wie ein missglücktes Experiment und als Warnung an alle Zuspätkommer, die, wie ich, dort Platz sehen, wo keiner mehr ist.
Was ich eigentlich sagen will ist, dass mich dieses Erlebnis daran erinnert hat, dass ich – in meiner längst vergangenen, blau äugigen Jugend – davon träumte, den Mann meines Lebens in der U-Bahn kennen zu lernen. Er würde mir gegenübersitzen, und wir würden beide auf geheimnisvolle, schicksalhafte Weise wissen, dass wir füreinander geschaffen waren. Wie in Sie liebt ihn – sie liebt ihn nicht oder Before Sunrise...
Ich bin einmal in einer Zeitschrift auf eine Anzeige für geführte Wandertouren gestoßen. Man solle sich da, so hieß es, zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Zug und einem bestimmten Zugabteil einfinden, um sich schon einmal vorab kennen zu lernen. Vollkommen Fremde, die in dasselbe Zugabteil einsteigen, die den Tag mit Wandern in schöner Landschaft – Buckinghamshire oder so – zubringen. Vielleicht sollte man so was ähnliches ja mit Singles machen, die auf der Suche nach einem Partner sind... In der U-Bahn, zum Beispiel. Irgendein Kennzeichen – eine Nelke im Knopfloch -, mit dem du anzeigst, dass du noch zu haben bist. Man könnte es U-Bahn-Dating nennen! Oder doch nicht – wäre wohl doch zu verrückt, zu abwegig. Aber was könnte verrückter und abwegiger sein, als sich drei Minuten lang mit einem Wildfremden an einen Tisch zu setzen und seinen Lebenslauf runterzurasseln? Wie verkaufe ich mich am besten in drei Minuten? Was habe ich dem Mädchen am Nachbartisch voraus? Was ist das Besondere an mir? Die Kunst der Drei-Minuten-Präsentation, destilliert in die Welt der Romantik. Ich glaube nicht, dass ich mich je damit anfreunden könnte, aber vielleicht repräsentiert das ja, im Kleinen, das Leben und die Liebe im Allgemeinen. Versuchen wir uns nicht andauernd zu verkaufen, nach dem Motto: »Warum ich es wert bin, geliebt zu werden«? Sind wir nicht alle Produkte, die auf einem überquellenden Markt »gekauft« werden wollen? Welches ist die beste Strategie? Der beste Pitch?
Aber zumindest kann man beim normalen Dating (Slow-Dating?) ein bisschen tiefer gehen, als es in drei Minuten möglich ist. Beim Speed-Dating kommt es im Grunde doch nur auf die Selbstpräsentation an. Darum geht es. Es geht um die Kunst der Drei-Minuten-Präsentation. Und darin war ich noch nie besonders gut.
3. KAPITEL
Teamgeist
Zwei Tage später saß Amelie an ihrem Schreibtisch und versuchte das dumpfe Dröhnen und Stampfen der Musik, die aus dem Studio am anderen Ende des Gangs zu ihnen ins Büro schallte, zu ignorieren. Die Tatsache, dass außerdem ständig ein Rugbyball dicht an ihrem Kopf vorbeipfiff und drohte, ihr an den Kopf zu fliegen, trug auch nicht gerade zu ihrer Konzentration bei. Als der Ball schließlich zum dritten Mal an ihr vorbeisauste und beinahe ihren Bildschirm umgeworfen hätte, wandte sie sich mit einem gespielt zornigen Blick zu den beiden Übeltätern, Duncan und Max, um. Die beiden spielten ungerührt weiter. Amelie fuhr fort, mit verzweifelter Konzentration Ideen auf ihren Notizblock zu kritzeln, wobei sie ein Stoßgebet zum Schutzheiligen der Konzentration schickte. Sie wollte sich schon freuen, als der Ball auf einmal nicht mehr an ihr vorbeigesegelt kam, doch ein Blick genügte, um zu sehen, dass die beiden Kindsköpfe ihr Spiel lediglich unterbrochen hatten, um Fleur Parker-Jones durchzulassen. Amelie schaute auf, als Fleur vor ihr stehen blieb und sich affektiert übers kunstvoll geglättete Blondhaar strich. Sie stieß ein wichtigtuerisches Räuspern aus. Wenn es in dem
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