Keine Lady ohne Tadel
mit der Stillerei nicht«, gab sie zu bedenken. »Am Anfang tut’s ziemlich weh, und viele Frauen lernen es nie. Außerdem haben Damen ehrlich gesagt nicht die Brust dafür.«
»Ich schon«, behauptete Esme. »Und wenn Sie mir einfach sagen, was ich tun muss, dann würde ich William gern selbst sein Frühstück geben.«
»Wenn ich ganz unverblümt sprechen darf«, mischte sich Lady Bonnington ein, »dann wird mir bei der bloßen Vorstellung schon übel. Eine Lady ist doch etwas anderes als eine Milchkuh, Lady Rawlings!«
»Ach, nun geh schon, Honoratia!«, sagte Arabella ungeduldig. »Hast du deinem Sohn nicht etwas Wichtiges mitzuteilen?«
Lady Bonnington verließ das Schlafgemach ein wenig verschnupft. Immerhin war sie nicht mit Lady Rawlings verwandt, hatte aber volle drei Stunden an ihrer Seite ausgeharrt und ihr mit gutem Rat beigestanden. Vermutlich war es allein ihr zu verdanken, dass die Geburt so rasch vonstattengegangen war. Andererseits war sie mit dem Ergebnis vollauf zufrieden. Lady Rawlings hatte den Namen des Kindsvaters genannt, und mehr musste sie gar nicht tun. Sebastian würde nun zugeben müssen, dass er keinerlei Verantwortung mehr hatte.
»Er sieht dir überhaupt nicht ähnlich«, teilte sie ihrem Sohn mehr als zufrieden mit. »Er ist so kahl wie sein Vater.«
»Vor einigen Jahren hat Miles Rawlings noch Haare besessen«, machte Sebastian geltend.
»Warte ab, bis du den Kleinen siehst«, sagte seine Mutter ein wenig schadenfroh. »Er ist das Ebenbild seines Vaters. Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen, dass du für ihn verantwortlich bist. Überhaupt nicht. Lady Rawlings hat bei seinem Anblick angefangen zu weinen, weil er die Augen ihres Mannes hat. Somit kann kein Zweifel bestehen: Miles Rawlings hat posthum einen Sohn bekommen.«
Lady Bonnington stutzte und musterte ihren Sohn, der ihr ein wenig bleich vorkam. »Du bist also frei«, fügte sie ein wenig sanfter hinzu.
Er sah sie an, und der Ausdruck seiner Augen erschütterte sie bis ins Mark. »Sie hat wohl nicht nach mir gefragt?«
»Nein«, sagte seine Mutter gerührt. »Nein, das hat sie nicht.«
Sie biss sich auf die Lippen, als Sebastian sich wortlos umdrehte und das Zimmer verließ. War er dieser Frau doch stärker verfallen, als sie gedacht hatte? Nein. Aber offensichtlich hatte sie unterschätzt, wie groß Sebastians Hoffnung gewesen war, er könne der Vater des Kindes sein. Ich muss den Jungen so rasch wie möglich unter die Haube bringen, beschloss die Marquise. Mit einem Mädchen aus guter Familie, einer Frau, die ihm viele Kinder schenken wird. Und sollte meine zukünftige Schwiegertochter auch nur die geringste Neigung zeigen, sich in eine Milchkuh zu verwandeln, dann werde ich ihr den Kopf zurechtrücken.
Denn es gab einige Dinge, die man in der Familie Bonnington einfach nicht tat. Und dazu gehörte dieser groteske Wunsch, sein Kind selbst stillen zu wollen.
28
In der Bibliothek
Beatrix Lennox hatte einen Entschluss gefasst. Sie hatte nun genug Zeit mit Nachdenken über Stephen Fairfax-Lacy vergeudet, ja, sie hatte ihm schlicht zu viel Bedeutung in ihrem Leben eingeräumt. Es war Zeit, die Initiative zu ergreifen.
Sie brauchte den ganzen Nachmittag, um sich für die Verführung Stephens anzukleiden. Das Ergebnis fiel dementsprechend reizvoll aus. Jeder Zoll ihres Körpers war herrlich parfümiert, auf Hochglanz poliert, gelockt oder bemalt. Sie trug weder ein Korsett noch ein ausgestopftes Mieder, sondern hatte ein Kleid ausgesucht, das ihre Reize mit geradezu heidnischem Überschwang der Welt präsentierte. Es war ein Kleid aus französischer Seide von blaugrüner Farbe, das ihr flammend rotes Haar besonders gut zur Geltung brachte. Der Ausschnitt war gewagt und mit Schleifen in einem dunkleren Farbton garniert.
Auf der Tafel lagen nur wenige Gedecke, wie nicht anders zu erwarten war. Esme würde wahrscheinlich in den nächsten Tagen oder Wochen nicht zum Dinner erscheinen. Bea schenkte Stephen während des ganzen Mahls fast keine Aufmerksamkeit, sodass er heftig mit Helene flirten konnte, während der Earl of Godwin boshaft zuschaute. Sie hegte nicht den Wunsch, zu offensichtlich mit Helene in Wettbewerb zu treten. Immerhin hatte diese ihr erst am Vorabend überschwänglich für die Hilfe gedankt. Wenn Bea ihr jetzt Stephen vor den Augen wegschnappte, würde sie entsetzt sein.
Als Bea nach dem Dinner in den Salon schlenderte, saßen Stephen und die Gräfin bereits am Klavier und bearbeiteten die
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