Keine Lady ohne Tadel
Interesse wuchs. Es dürfte allemal amüsanter sein, dem ehelichen Kummer der Gräfin zu lauschen, als rostfarbene Farne zu betrachten. Sie setzte sich neben Helene. »Warum haben Sie die Opernsängerin denn nicht aus Ihrem Schlafzimmer vertrieben?«, fragte sie in einem Ton, als erkundigte sie sich nach der Uhrzeit. Selbst für Bea, die man als Expertin für Skandale bezeichnen konnte, war es ein herrlich unanständiges Gesprächsthema. Doch die Gräfin wirkte keineswegs verärgert.
»Warum hätte ich das tun sollen?«, erwiderte sie und schaute in ihr Sherryglas.
»Ich würde einer anderen Frau niemals den Zutritt zu meinem Schlafgemach gestatten.«
»Die fragliche Dame zu vertreiben würde voraussetzen, dass ich geneigt wäre, dieses Gemach zu betreten.«
Bea wartete geduldig. Sie wusste, dass Schweigen zuweilen interessante Geständnisse zutage förderte.
»Wenn sie nicht in meinem Bett läge«, fuhr die Gräfin fort, »dann wäre es eben eine andere. In meinen Augen ist sie ein notwendiges Übel. Ein Missstand, von dem alle Welt weiß. So etwas wie eine Wärmflasche.«
Bea schluckte. Jetzt wusste sie, warum die als äußerst sittsam bekannte Gräfin Godwin mit der berüchtigten Lady Rawlings befreundet war. »Eine Wärmflasche?«
Die Gräfin nickte und sah so heiter aus wie eine Herzoginnenwitwe, die über eine Kindstaufe spricht.
Bea konnte ihren Standpunkt durchaus verstehen. Wenn Lady Godwin nicht gewillt war, das eheliche Lager mit ihrem Mann zu teilen, dann sprang eben die Opernsängerin ein. Doch alle Welt wusste, dass Lady Godwin im Hause ihrer Mutter lebte statt in dem ihres Mannes am Rothsfeld Square.
»Das ist nicht fair«, behauptete Bea. »Sie müssten in Ihrem eigenen Hause leben. Immerhin sind Sie mit dem Mann verheiratet!«
Die Gräfin warf ihr einen bitteren Blick zu. »Finden Sie, dass das Leben fair zu Frauen ist, Lady Beatrix? Wir beide können es doch gleichermaßen beklagenswert nennen.«
Bis jetzt war Bea nicht ganz sicher gewesen, ob die Gräfin sich an den Skandal erinnerte. »Ich halte mich nicht für beklagenswert.«
»Falls mich mein Gedächtnis nicht trügt, wurden Sie mit Sandhurst in einer eindeutigen Situation ertappt. Sein Ruf hat unter dem Skandal nicht im Geringsten gelitten, Ihrer hingegen war ruiniert. Sie wurden Ihres Heimes verwiesen und« – sie hielt inne und suchte nach den richtigen Worten – »fortan von vielen Ihrer Bekannten geschnitten.«
»Aber ich wollte Sandhurst nicht heiraten!«, betonte Bea. »Natürlich hätte sich der Sturm verzogen, wenn ich ihn geheiratet hätte. Aber ich habe ihm einen Korb gegeben.«
»Und ich hatte angenommen, er habe Ihnen gar keinen Antrag gemacht«, gestand die Gräfin. Sie überlegte kurz. »Warum wollten Sie Sandhurst nicht heiraten?«
»Er war mir nicht sonderlich sympathisch.«
Die Gräfin schwenkte ihren Sherry, dann stürzte sie das Glas in einem Zug hinunter. »Dann sind Sie sehr viel klüger als ich, Lady Beatrix. Ich habe meine Abneigung gegen meinen Mann erst entdeckt, als ich bereits verheiratet war.«
Bea lächelte sie an. »Vielleicht sollte man Gretna Green verbieten.«
»Vielleicht. Sind Sie der festen Ansicht, dass Sie niemals heiraten werden?«
»Ja.«
»Und waren Sie schon immer dieser Ansicht?«
Vermutlich wusste die Gräfin ebenso gut wie Bea, dass kein achtbarer Mann mit einer derart übel beleumdeten Frau die Ehe eingehen würde. Bea schwieg.
»Natürlich haben Sie geglaubt, Sie würden eines Tages heiraten«, sagte die Gräfin wie zu sich selbst. »Sonst hätten Sie Sandhursts Antrag niemals ausgeschlagen. Es tut mir leid.«
Bea zuckte die Achseln. »In meinem Fall sind die Jungmädchenträume von der Wirklichkeit eingeholt worden. Einen Ehemann wie den Ihren würde ich aber auf keinen Fall ertragen, Mylady. Wahrscheinlich würde ich ihm etwas antun. Ich versichere Ihnen, meine jetzige Lage ziehe ich bei Weitem vor.«
Lady Godwins Lächeln erhellte ihr ganzes Gesicht. Bea stellte überrascht fest, dass ihre Physiognomie dadurch vollkommen verändert wurde. Sie wirkte nun nicht mehr wie ein mittelalterliches Burgfräulein, sondern auf eine ganz eigene Art bezaubernd.
»Und was genau würden Sie meinem Mann antun?«, fragte Lady Godwin neugierig. »Sie müssen übrigens Helene zu mir sagen. Noch nie habe ich eine solch intime Unterhaltung mit einer mir vollkommen Fremden geführt.« Tatsächlich war Helene über sich selbst erstaunt. Beatrix Lennox verfügte über einen Esprit, der sie
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