Keine Lady ohne Tadel
…«
»Ja, ich habe gerade in der gleichen Richtung gedacht: Kirchenväter, Schicklichkeit, Ehre, das Alte Testament … ein langweiliger Puritaner!« Puritaner war Beas schlimmstes Schimpfwort.
»So habe ich das nicht gemeint! Ich finde Mr Fairfax-Lacy eigentlich recht anziehend, aber er wäre wohl kaum der geeignete Kandidat für eine unbedachte Affäre. Geschweige denn vor den Augen meines Mannes. Die Männer sehen in mir keine Frau für solche Dinge.«
Bea zögerte mit der Antwort. Es ging wohl kaum an, dass sie einer Frau, die sie eben erst kennengelernt hatte, Ratschläge in Bezug auf Kleidung gab. Sie schlug eine neue Marschroute ein. »Gerade diese altmodischen Männer sehnen sich zuweilen nach Abwechslung«, meinte sie. »Warum hätte er wohl sonst Arabellas Einladung angenommen? Eine Gesellschaft bei der berüchtigten Esme Rawlings ist gewiss nicht die angemessene Zerstreuung für einen besonnenen Staatsdiener. Und Arabella selbst ist nicht an ihm interessiert, das hätte sie mir gesagt. Sie kann junge Männer nicht ausstehen.«
Beide schauten nun zu Mr Fairfax-Lacy hinüber, der auf der anderen Seite des Salons mit der Gastgeberin plauderte.
»Glauben Sie, dass er etwas von Musik versteht?«, fragte Helene mit Zweifel in der Stimme.
»Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?«
»Ich könnte nie … denn ich liebe sie … ich will sagen, ich könnte nie mit einem Mann zusammen sein, der sich nicht für Musik interessiert.«
Genau in diesem Augenblick schritt Mr Fairfax-Lacy auf das Pianoforte zu, das in einer Ecke des Salons stand, setzte sich, indem er Esme charmant zuzwinkerte, und begann, eine flotte Melodie zu spielen.
»Und – genügt er Ihren Anforderungen?«, erkundigte sich Bea. Sie selbst hatte Harfenunterricht bekommen, da ihr Vater der Ansicht war, kleine klimpernde Melodien passten gut zur weiblichen Gedankenwelt.
»Im Hinblick auf seinen Geschmack nicht«, entgegnete Helene ein wenig säuerlich. »Er spielt eine Arie meines Mannes. Sie wissen, dass mein Mann komische Opern komponiert?«
Bea nickte, obwohl sie es nicht wusste. Helene war mit einem Earl verheiratet. Pflegten Earls komische Opern zu komponieren?
»Dieses Stück stammt aus seiner Oper
Der weiße Elefant
. Schauderhaft«, lautete Helenes vernichtendes Urteil. »Wobei die Oper als Ganzes gar nicht so schlecht ist. Nur diese Arie ist eine Katastrophe.«
»Warum denn?«
»Die Sopranistin musste ein ›F‹ in der Altstimme singen. Das arme Ding wäre bei dem Versuch fast erstickt, während das Publikum glaubte, es liege an dem zu engen Mieder.« Helene ließ ihren Blick durch den Salon schweifen. »Und die Ouvertüre enthält so viele Dissonanzen, dass das Orchester sich anhörte, als hätte es kaum geprobt. Es war eine heillose Katastrophe. Und dass Mr Fairfax-Lacy ausgerechnet diese Arie mag und auswendig spielen kann, spricht nicht gerade für seinen Geschmack.«
Doch Bea hatte bereits beschlossen, dass Helene und der Politiker gut zusammenpassen würden. Da konnte sie auf keinen Fall zulassen, dass sein schlechter Musikgeschmack Helene in irgendeiner Weise beeinflusste. »Ich werde Sie zum Klavier begleiten, und dann können Sie Mr Puritaners Musikgeschmack verbessern, wenn Sie mögen«, schlug sie vor. »Männer lieben es, von einer schönen Frau belehrt zu werden. Und während Sie das tun, können wir abschätzen, ob er die Zeit und die Mühe wert ist. Er hat nämlich das Alter erreicht, in dem Männer in der Taille ein wenig breiter werden, und das ist viel schlimmer als ein schlechter Musikgeschmack. Glauben Sie mir.«
»Meiner Erfahrung nach können Männer es nicht ausstehen, belehrt zu werden«, wandte Helene ein, »und ich bin wohl kaum …« Doch Bea zog sie bereits wie ein entschlossener kleiner Schlepper durch den Salon.
Stephen schaute auf und sah dieses übel beleumdete Weibsstück, Lady Beatrix, sowie die anmutige Lady Godwin über den Rand des Pianofortes spähen. Seine Finger versagten ihm beinahe den Dienst, als er erkannte, welchen Fehler er mit seiner musikalischen Darbietung begangen hatte, und er sprang hastig auf.
Doch die Gräfin lächelte ihn freundlich an, obgleich in ihren Augen Belustigung stand. Er erwiderte ihr Lächeln, wenn auch ein wenig gequält.
Lady Beatrix lächelte ebenfalls, aber er wollte verdammt sein, wenn sie es nicht schaffte, jedes harmlose Lächeln in eine schamlose, laszive Einladung zu verwandeln! Sie ließ ihre Augen mit lüsternem Ausdruck über seinen
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