Keine Lady ohne Tadel
Körper gleiten und hielt auf Taillenhöhe inne. Glücklicherweise war Stephens Bauch noch genauso flach wie an dem Tag, als er Oxford verlassen hatte – oder blickte das dreiste Weibsstück etwa noch südlicher? Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war eine unvorsichtige Affäre mit einem unverheirateten Mädchen, das den Ruf einer Kokotte genoss.
Er riss seine Augen von ihr los und richtete sie auf die Gräfin. »Lady Godwin, ich hatte vor einigen Jahren das Vergnügen, bei einem Hauskonzert eine Ihrer
canzone
zu hören. Würden Sie uns die Freude machen, eine eigene Komposition zu spielen?«
Lady Godwin honorierte seine Anfrage mit einem zurückhaltenden und doch freundlichen Lächeln und nahm seinen Platz hinter den Tasten ein. »Ich würde Ihnen gern etwas anderes vorspielen, denn meine Kompositionen bringe ich selten in der Öffentlichkeit zu Gehör.«
Zu Stephens Erstaunen schien Beatrix Lennox gar nicht gemerkt zu haben, dass er sie brüskiert hatte. Vielleicht waren ihre offenherzigen Einladungen überhaupt nicht persönlich gemeint. Als sie sich über das Pianoforte beugte, sah sie wie ein Schulmädchen aus – ein absurder Vergleich angesichts ihres tiefen Ausschnitts. Fast war es, als berührten ihre Brüste die glänzende Oberfläche des Instruments.
»Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie komponieren, Helene!«, rief Bea bewundernd aus. »Was für ein wunderbares Talent. Spielen Sie doch bitte etwas, das Sie selbst komponiert haben!« Und als Lady Godwin zögerte, drängte die Jüngere: »Bitte!«
Stephen musste insgeheim zugeben, dass eine bittende Lady Beatrix beinahe unwiderstehlich war. Lady Godwin errötete und nickte ergeben.
»Möchten Sie lieber etwas Klassisches hören oder etwas Neues?«
»Oh, etwas Neues!«, rief Lady Beatrix.
Selbstredend
, dachte Stephen.
Diese oberflächlichen jungen Frauen waren ja stets auf der Jagd nach den neuesten Attraktionen.
Lady Godwin lächelte. »Nun gut. Aber dann muss ich Sie auch um einen Gefallen bitten.«
Stephen verneigte sich. »Für das Vergnügen, Ihre Musik hören zu dürfen, können Sie alles verlangen.«
»Ich arbeite zurzeit an einem Walzer, und es ist sehr schwierig, während der Übergänge den Takt zu halten. Würden Sie bitte mit Lady Beatrix tanzen, während ich spiele?«
Stephen starrte sie verblüfft an. »Ich fürchte, ich bin kein guter Walzertänzer.«
Lady Beatrix zog mokant eine ihrer dünnen schwarzen Brauen hoch. »Bei einem Weihnachtsfest habe ich meinem Großvater, der sehr wackelig auf den Füßen ist, Walzer beigebracht.« Ihr reizendes Lächeln vermochte ihn keinen Augenblick zu täuschen.
Sie verglich ihn mit ihrem Großvater. Eine Welle des Zorns erfasste Stephen.
»So schwer ist Walzer wirklich nicht«, versicherte Helene. »Sicherlich werden Sie leichtfüßiger sein als meine Musik, Mr Fairfax-Lacy.« Sie wandte sich an die Gastgeberin. »Esme, darf ich deine Gäste für eine praktische Übung in Anspruch nehmen? Mr Fairfax-Lacy und Lady Beatrix sind so freundlich, es einmal mit meinem Walzer zu versuchen.«
»Ich wünschte nur, ich könnte noch tanzen«, erwiderte Lady Rawlings heiter, stemmte sich aus ihrem Sessel hoch und winkte dem Butler. Geschwind räumten ein paar Lakaien eine große Fläche in der Mitte des Rosensalons frei.
Stephen blieb misstrauisch. Sein Sitz im Unterhaus ließ ihm zu wenig Zeit, um Frauen auf dem Tanzparkett umherzuwirbeln, und schon gar nicht zu diesen neumodischen Wiener Melodien. Verflucht, er konnte die Male, die er Walzer getanzt hatte, an einer Hand abzählen. Und nun sollte er es gar vor Publikum tun. Steifbeinig schritt er auf das Parkett. Lady Beatrix musste natürlich vor ihm auf den Tanzboden eilen, um ihre zierliche, wohlproportionierte Figur zur Schau zu stellen. Nun, gar so zierlich auch wieder nicht. Er war ein großer Mann, und dennoch wirkte sie neben ihm nicht wie eine Zwergin.
Stephen schaute sich noch einmal zu Lady Godwin um. Wirklich, eine sehr anziehende Frau. Sie erinnerte ihn an einen kühlen, erfrischenden Trunk.
»Das ist wirklich zu liebenswürdig von Ihnen!«, rief sie ihnen zu. »Sie müssen mir später ganz ehrlich sagen, was Sie von meinem Walzer halten.«
Stephen verneigte sich gemessen vor Lady Beatrix. »Darf ich um diesen Tanz bitten?«
»Mit Vergnügen«, antwortete sie mit züchtigem Augenaufschlag.
Falls man das züchtig nennen konnte. Das schläfrige, sinnliche Lächeln, das sie zur Schau trug, sollte im Grunde verboten werden. Es war
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