Keine Pizza für Commissario Luciani
halten wollen. Minister Ranieri hat nie gesagt, dass die Statue verkauft wird, ich weiß, dass er so etwas als Fachmann
und Kunstliebhaber niemals tun würde. Als verantwortungsbewusster Staatsdiener hat er jedoch darauf hingewiesen, dass diese
Operation sehr kostspielig sein wird, und die berechtigte Frage gestellt, ob Italien sich in diesem Moment der Krise eine
solche Ausgabe erlauben kann. Wenn ich einen Vergleich anstellen darf, so ist das wie im Fußball, wenn man ein exzellentes
Angebot für einen Ausnahmespieler bekommt. Der Instinkt würde es zurückweisen, es ist aber kein Fehler, wenn man einen Moment
darüber nachdenkt, was für den Club und die Mannschaft das Beste wäre. Manchmal kann man durch den Verzicht auf ein einzelnes
wertvolles Element das Kollektiv in seiner Gesamtheit stärken. Ich sage allerdings noch einmal, unser Ziel ist es, dieses
Meisterwerk zu behalten, zu restaurieren und in seinem vollen Glanz erstrahlen zu lassen. Wir prüfen gerade in enger Absprache
mit unserem Finanzminister, wie wir dieses Ziel erreichen können, und zwar auf eine Weise, die alle zufriedenstellt, angefangen
bei der Wilhelmina, der wir eine gewichtige Abfindung werden zahlen müssen. Deshalb appelliere ich schon jetzt an den Stolz
des italienischen Volkes, auf dass es seine wahre Verbundenheit mit unserem kulturellen Erbe zeige, und bitte in dieser Hinsicht
auch unsere geschätzten Journalisten um Unterstützung.«
»Eine SMS für die Gerechtigkeit«, war der Slogan, der wenige Tage später die Zeitungen und Fernsehkanäle beherrschte. Mit
einem Euro, den man per SMS spendete, konnte man die Statue und die Ehre Italiens retten. Die Aktion lief sofort auf Hochtouren,
Dutzende von Promis |291| stellten sich vor die Kameras und baten die Zuschauer um Spenden, Spenden, Spenden. Einige von ihnen gingen gar so weit, persönlich
eine Handvoll Euro zu geben und sich damit Schlagzeilen in den Wochenzeitungen zu sichern. Es wurden Sammlungen in den Büros
organisiert, in den Stadien und vor Konzerten. Der Premier hatte sich sehr geschickt angestellt; indem er die Statue »Die
Gerechtigkeit« taufte, hatte er die empfindlichste Saite der öffentlichen Meinung angeschlagen. Minister Ludovico Ranieri
war bereit, in dieselbe Kerbe zu schlagen, und eine Woche später, als das Gesamtvolumen der Spendenaktion bereits zwölf Millionen
Euro überstiegen hatte, berief er eine Pressekonferenz ein.
»Ich habe lange über die Ereignisse dieser letzten Tage nachgedacht. Das außerordentliche Engagement der Italiener und die
Verbundenheit mit unserem Land, die sie zeigen, haben mich tief bewegt. Sie müssen mir bitte glauben, dass ich nie, auch nur
für einen Augenblick, vorhatte, Italien um einen solchen Schatz zu bringen. Ich studiere und liebe die Kunst seit meinen Kindertagen,
und Sie können sich vorstellen, was es für mich bedeutet, nur einen Steinwurf von meinem Elternhaus entfernt ein Werk Lysipps
zu finden. Meine Bedenken waren einzig von wirtschaftlichen Überlegungen diktiert, von der Vorstellung, dass man es in Krisenzeiten,
in denen wir allen schwere Opfer abverlangen, unangemessen finden könnte, für eine Bronzefrau Geld auszugeben, statt für die
vielen Menschen aus Fleisch und Blut, die mit ihrem Gehalt nicht über die Runden kommen. Im Laufe dieser Tage haben sich meine
Befürchtungen jedoch als haltlos erwiesen. Die Italiener haben erkannt, dass diese Statue nicht nur eine Statue ist, sondern
weit mehr als das: Mittlerweile ist sie zum Symbol für dieses Land geworden. Ich bin ein gläubiger Mensch |292| und fest davon überzeugt, dass der Fund dieses Werkes, das die Gerechtigkeit darstellt, just in diesem Moment, kein Zufall
ist. Der Ruf nach Gerechtigkeit, der aus dem Herzen unserer Gesellschaft dringt, ist heute der erste, auf den wir, die Regierenden,
eine Antwort zu geben haben. Wir müssen wieder Vertrauen in die Institutionen und in die Justiz gewinnen, wir müssen sehen,
dass ihre Mechanismen unausweichlich greifen, dass die Schuldigen bestraft und die Opfer geschützt werden. Sicher wird es
nicht die Gerechtigkeit von Lysipp sein, die alle unsere Probleme löst, aber dieses Werk und die Emotionen, die es wachgerufen
hat, können uns den rechten Weg weisen, sie können uns daran erinnern, wer wir sind und wozu wir imstande sind.
Ich bin glücklich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir auch dank der großzügigen Spenden der Italiener, die
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