Keine Pizza für Commissario Luciani
Art, die womöglich unter der Hand ablaufen. Wenn der Staat seine
Schätze veräußert, mit welcher Autorität oder Glaubwürdigkeit will er dann Grabräuber und Kunstschieber verfolgen? Die Vorgängerregierung
hatte keine Nachsicht walten lassen und angekündigt, geraubte Schätze zurückzuholen. Wir wünschen uns, dass die neue Regierung
nun nicht wieder einen Rückzieher macht. Politische Zugehörigkeiten können zu unterschiedlichen Haltungen in Fragen der Wirtschaft,
der Justiz und des Sozialstaats führen, der Schutz des kulturellen Erbes darf davon jedoch nicht berührt werden. Italien muss
die Rückerstattung des Athleten verlangen und gleichzeitig mit der Restaurierung der Bronze von Santo Stefano fortfahren.
Andernfalls |288| werden wir ein Land mit ruhmreicher Geschichte und unrühmlicher Zukunft bleiben.«
»Was für ein Hornochse … das glaub ich einfach nicht!«, sagte Ludovico und schlug die Zeitung zu. Dieser Leitartikel war das
Sahnehäubchen, das noch gefehlt hatte, nachdem er tags zuvor schon unter dem Dauerbeschuss von Opposition, Kunstkritikern,
Künstlern, Umweltschützern, Tierschützern und Gewerkschaftlern gestanden hatte, weil er den Verkauf der Bronze von Santo Stefano
als Hypothese in den Raum gestellt hatte. Der Pressesprecher schielte besorgt zu ihm hinüber. »Reg dich nicht auf, Ludovico«,
setzte er schüchtern an, »inzwischen ist klar, dass er über dich herfällt, egal, was du tust.«
»Aufregen? Machst du Witze? Ich könnte ihn umarmen, diesen Idioten! Diesen König aller Idioten!« Er schüttete sich vor Lachen
aus, so herzhaft, wie schon lange nicht mehr, und sein Gegenüber betrachtete ihn, als hätte er den Verstand verloren. »Weißt
du was, mein Freund? Heute schenke ich dir ein neues Handy!«
Der Pressesprecher lächelte. »Im Ernst?«
»Sicher! So kannst du sofort den Pressesprecher der Wilhelmina anrufen und ein paar Interviews mit ihm klarmachen. Alles läuft
wie am Schnürchen. Aber wir müssen das Eisen schmieden, solange es heiß ist.«
»›Das Angebot des Paul Getty Museum für die Statue von Santo Stefano ist beachtlich und kann uns nur mit Stolz erfüllen. Es
bestätigt nämlich, dass wir Italien ein Werk von enormem Wert wiedergegeben haben. Dennoch fragen wir uns, ob es, bei allem
Respekt vor dem italienischen Gesetz, vom Staat richtig wäre, das Eigentum an der Bronze zu beanspruchen, um diese dann an
den Meistbietenden weiterzuverkaufen. Wir sind gern bereit, auf das Werk zu verzichten, |289| damit alle in seinen Genuss kommen. Wenn es jedoch ins Ausland gebracht werden soll, würden wir ein Vorkaufsrecht an der Bronze
einfordern. Und in jedem Fall würden wir die Zahlung von 50 Prozent seines geschätzten Gesamtwerts verlangen. Auch unsere
bisher exzellenten Beziehungen zu Italien würden dadurch, offen gestanden, beeinträchtigt werden.‹ Dies erklärte François
Courbet, der Pressesprecher der Luxemburger Gesellschaft, die Eigentümerin der Insel Santo Stefano ist. Courbet sagte weiter,
in dieser Sache liefen derzeit Gespräche mit dem Kultur- und dem Finanzminister. Minister Ludovico Ranieri wollte keinen Kommentar
abgeben, auch nicht zu dem Gerücht, wonach ebenfalls Verhandlungen mit anderen ausländischen Museen geführt würden.«
Am nächsten Tag war Ludovico wieder Zielscheibe der Presse. Durch die Bank war man indigniert ob der Vorstellung, dass Italien
mit dem Getty Museum feilschen könnte, man beanspruchte das Eigentum an der Bronzeskulptur und schlug sich auf die Seite der
Luxemburger, die man wenige Tage zuvor noch verdächtigt hatte. »Die Auktion der Schande«, lautete eine Schlagzeile, weil man
vermutete, dass Ranieri den Preis der Statue hochtreiben wolle. »Die Statue der Kopflosen«, polterte eine andere. Ludovico
ließ sie zwei Tage lang toben, er verweigerte Interviews, enthielt sich jeglichen Kommentars und ließ die Wut immer höher
kochen. Die Rettung der Statue wurde zum Tagesthema, andere wichtige Museen sondierten inoffiziell das Feld, um zu erfahren,
ob die Statue tatsächlich zum Verkauf stehe, und am Ende musste der Regierungschef persönlich eingreifen, um alle zu beruhigen,
wozu er im Flughafen in Rom eine improvisierte Pressekonferenz einberief.
»Gestern Abend habe ich persönlich die Restauratorenwerkstatt |290| aufgesucht, um mir die Themis von Lysipp anzusehen. Es ist ein Werk von außerordentlichem Wert, das wir um jeden Preis in
Italien
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