Keine Pizza für Commissario Luciani
Weile nach.
|285| »Wissen Sie, was der Bootsführer und Quondampietro in jener Nacht auf Santo Stefano wollten?«
»Ich nehme an, sie wollten Pfeilkalmare fischen, Herr Leutnant.«
Der Carabiniere verzog das Gesicht, und der Genueser antwortete mit einem Lachen.
»Wenn sie auch ein bisschen geschmuggelt haben sollten, Herr Leutnant, das war Kleinkram, um sich ein paar Lire dazuzuverdienen.«
»Ein Mann ist getötet worden wegen dieses Kleinkrams.«
»Eben. Man sollte sich um das eigentliche Verbrechen kümmern und die Nichtigkeiten beiseitelassen.«
Als Leutnant Marzaro nach Ventotene zurückkam, versuchte er noch einmal, Fierros Witwe zu vernehmen. Sie bestätigte, dass
ihr Mann wenige Tage vor der Tat in Rom gewesen war, wusste aber nicht, warum. »Eine Angelegenheit unter Männern«, hatte sie
lapidar geantwortet. Der Leutnant hatte fast den Eindruck gewonnen, dass sie eine Liebschaft dahinter vermutete, darüber aber
nicht reden wollte. Die Witwe sagte noch einmal, dass ihr Mann an jenem Abend das Haus verlassen habe und am Tag davor einen
bissigen Kommentar über den Tarantino abgegeben habe. Fierro habe gesagt, der Tarantino hätte etwas auf Santo Stefano erledigen
sollen, es aber nicht getan, und er sei eben jemand, auf den man sich nicht verlassen könne.
Das passt alles zusammen, dachte der Leutnant, aber solange wir den aus Taranto nicht finden, werden wir nie erfahren, wie
es sich genau abgespielt hat. Auch die Kollegen in Rom suchten ihn, und wenn er noch in Italien war, dann würde man ihn früher
oder später aufspüren. Wenn er es dagegen bereits über die Grenze geschafft hatte, dann war es schwieriger, ihn zu erwischen.
|286| Achtundvierzig
Ranieri
Rom, heute
»Ein sensationelles Angebot für die Bronze von Santo Stefano kommt vom Getty Museum in Los Angeles, ebenjenem Museum, das
seit Jahren mit unserem Land um Lysipps Athleten von Fano streitet, der 1964 im Wasser der Adria gefunden wurde. Ein Mitglied
des Aufsichtsrats, James Shepard, schlägt einen Tausch der beiden Werke vor. Der Athlet würde, flankiert von einem üppigen
Scheck über 20–25 Millionen Euro – falls man den Kopf findet, auch deutlich mehr –, nach Italien zurückkehren, während die
Bronze von Santo Stefano an das amerikanische Museum ginge, das sich auch um deren Restaurierung kümmern würde. Shepard hat
klargestellt, dass er als Privatmann spreche, aber die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Kulturminister Ludovico
Ranieri sagte, er sei ›überrascht‹ über dieses Angebot, ihm sei keinerlei offizielles Schreiben zugegangen. Rein hypothetisch,
fügte er hinzu, fuße dieses Angebot auf beachtlichen Summen, bestätige den Wert des Kunstwerks, und man wolle es, sofern es
auf offiziellem Wege eingehe, mit Interesse prüfen.
›Die Bronze von Santo Stefano ist zweifellos ein Meisterwerk‹, sagte Ranieri, ›ihre Zuordnung ist aber noch unsicher. Zudem
werden die Restaurierungsarbeiten zeit- und kostenaufwendig sein. Der Athlet des Lysipp ist eines der meistbewunderten Werke
auf der Welt, und sollte er nach Italien zurückkehren, so könnte er zu einem touristischen Aufschwung beitragen, in einer
für unser Land schwierigen Phase.‹«
|287| »Hände weg von der Bronze von Santo Stefano.« Der Leitartikel der »Repubblica« meldete nicht nur Vorbehalte an, er war Gift
in Reinform. »Das Paul Getty Museum, das seit Jahrzehnten eines der wertvollsten je in unserem Land gefundenen Kunstwerke,
den Athleten von Fano, in Geiselhaft hält und das bald sowieso kraft des Gesetzes gezwungen sein wird, diesen zurückzuerstatten,
versucht jetzt, die Rückgabe als eine Art Zugeständnis darzustellen, und schlägt vor, das Werk gegen eines von vergleichbarem
Rang einzutauschen. Minister Ludovico Ranieri scheint, statt den Vorschlag empört zurückzuweisen, leider geneigt, ihn in Betracht
zu ziehen. Es stimmt, dass die (wohlgemerkt, inoffiziell) gebotene Summe beträchtlich ist, aber hier steht etwas auf dem Spiel,
was über eine Marktwertanalyse hinausgeht. Das Prestige unseres Landes steht auf dem Spiel, der Wille, seine Kunstschätze,
auch um den Preis gewisser Opfer, zu schützen. In Krisenzeiten lebt man vor allem von Brot, aber auch von der Würde. Wenn
man den Eindruck vermittelt, dass alles käuflich sei, auch die Schönheit, die Geschichte und die Tradition, dann ist das sehr
gefährlich und bahnt den Weg für andere Operationen dieser
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