Keine Pizza für Commissario Luciani
erhalten.«
Sie legten ohne Probleme in der Marinella an, und wieder erbot der Kalabreser sich, Marietto zu helfen.
»Danke dir. Aber es ist besser, wenn du mich später holen kommst. Ich werde nicht lange brauchen, höchstens ein paar Stunden.«
Er kletterte die Treppe hoch und stieg mühsam den Pfad hinan, der viel steiler war als in seiner Erinnerung. Er musste mehrmals
stehen bleiben, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, sein Mund stieß weiße Atemwolken aus und sog die kalte Luft in schmerzhaften
Wellen ein. Er brauchte rund zehn Minuten bis zum Gefängnis. Dort angekommen, blieb er stehen und betrachtete es lange, eher
um Atem zu schöpfen, als um die Geister der Vergangenheit zu beschwören. Endlich hatte er nun die Steigung hinter sich. Er
passierte das Zuchthaus und ging entschlossen auf die anderen Gebäude zu. Aber plötzlich spürte er im Magen deutlich das Gefühl
von Gefahr, das er aus Kriegstagen in den Bergen kannte. Das ist eine Falle, dachte er. Er blieb stehen, als müsste er wieder
Kraft schöpfen, streckte den Rücken und atmete tief durch. Er wartete und |363| lauschte angestrengt mit dem linken Ohr, das noch Geräusche unterscheiden konnte. Zwar hörte er nichts, aber die Ahnung der
Gefahr war beileibe nicht verschwunden. Es gab da etwas, etwas, das der Kalabreser gesagt hatte, was nicht koscher war. Er
versuchte, sich an ihr Gespräch zu erinnern. Zum Glück waren sie wortkarge Männer, und die wenigen Worte, die sie sprachen,
hatten mehr Bedeutung und prägten sich besser ein. »Auch ich möchte ihr gerne noch einmal in die Augen sehen.« Woher wusste
er, dass Marietto deswegen gekommen war: um den Kopf zu holen? Und wie hatte er ihn, nach all den Jahren, in der Kirche so
zielsicher wiedererkennen können? Marietto war es gelungen, durch die Maschen im Netz seiner Feinde zu schlüpfen, aber es
war logisch, dass sie jemanden hier postiert hatten, um auf ihn zu warten. Er lächelte still und dachte: Auch wenn der Überraschungsangriff
gescheitert ist – jeder gute Kommandant hat einen Plan B in der Hinterhand.
»Ihr wollt den Kopf, stimmt’s, ihr verdammten Scheißkerle?«, flüsterte er. »Gut, ihr werdet ihn bekommen.«
Schnellen Schrittes ging er weiter Richtung Friedhof.
Er konnte sich genau an die Stelle erinnern, wo er ihn begraben hatte. Der Bootsführer hatte eine gute Wahl getroffen mit
diesem alten Friedhof. Die Leute hielten sich fern, in dem weichen Erdreich konnte man gut buddeln, und es gab reichlich Orientierungspunkte,
um ein Versteck später wiederzufinden. Als sie damals zu Marietto gesagt hatten, er solle im Boot bleiben, hatte er nicht
protestiert, er hatte sogar gesagt, das sei ihm lieber, er wolle außen vor bleiben, gar nichts von alledem wissen. Stattdessen
war er den anderen, kaum hatten sie sich entfernt, in sicherem Abstand gefolgt. Ja, das konnte er, einen Mann beschatten,
ohne auf sich aufmerksam zu machen. Der Kalabreser, die |364| Brüder Gugliano und der Tarantino hatten die Statue wie eine Leiche weggetragen. Zwei hielten sie an den Armen, zwei an den
Beinen. Der Bootsführer dagegen hatte sich den Kopf auf die rechte Schulter geladen und ging ein bisschen gebeugt, wie ein
zweiköpfiges Ungeheuer.
Kaum waren sie am Gefängnis angelangt, trennten sie sich. Die vier schlugen sich in die Felder, um eine günstige Stelle zu
suchen, der Bootsführer ging den Weg weiter Richtung Friedhof. Der Genueser war auf Abstand geblieben, hatte einen weiten
Bogen geschlagen, bis zu einer erhöhten Stelle, von der aus er ihn beobachten konnte. Damals hatte er exzellente Augen. Er
war immer der Erste, der in der Ferne Delphinschwärme oder die Schnellboote der Finanzpolizei erkannte. Er sah, wie der Bootsführer
neben einem Grab eine runde Grube aushob, in die er den Kopf legte, eingewickelt in einen seiner alten rot-weiß gestreiften
Pullover und eine Persenning.
Kaum hatten die Kameraden abgelegt und ihn allein auf der Insel zurückgelassen, kehrte der Genueser zum Friedhof zurück und
wechselte das Versteck. Und als er sich den Kopf noch ein zweites Mal wiederholte, in jener Nacht der langen Messer, als er
ihn dem Tarantino aus den Händen riss, hatte er für ein noch sichereres Versteck gesorgt. An einer Stelle, die für ihn leicht,
für die anderen äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich zu finden war.
Es war nicht so einfach, ihn herauszuholen. Marietto war äußerst vorsichtig, um ihn
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