Keine Pizza für Commissario Luciani
sein, sagte er sich, während er sich den letzten Abschnitt
der Steigung hochkämpfte, ich bin nicht für ein einfaches Leben geschaffen. Um mich wohl zu fühlen, muss ich immer einen Berg
hinauf, Bonuspunkte sammeln, vielleicht bin ich im Grunde nur ein anmaßendes Monster, das sich den anderen überlegen fühlen
muss. Ich peinige mich, damit ich mich berechtigt fühle, den anderen Handschellen anzulegen und sie in den Bau zu schicken.
Er kam an den Gipfelpunkt, hielt einen Moment an, um die Aussicht zu genießen, dann kehrte er um, lief bergab, bremste mit
den Oberschenkeln und nahm lächelnd den Schmerz im Quadriceps wahr. Mittlerweile hatte er begriffen, was passiert war. Den
Ablauf. Die Tatorte. Das Motiv. Die Tatwaffe. Der Faden, der Mariettos Tod mit dem von Sabrina verband, war endlich gesponnen.
Nun musste er nur noch herausfinden, wer konkret den Abzug bedient hatte, aber das machte, alles in allem, keinen großen Unterschied
mehr.
Die entscheidende Spur war schließlich dank einer blauen Glasscherbe sichtbar geworden, dem Fragment einer Flasche, die man
vor vierzig, vielleicht fünfzig Jahren ins Meer geworfen hatte, die im Wasser gelegen, sich abgestoßen und abgerieben hatte.
Diese Scherbe hatte eine so weite Reise hinter sich, als käme sie von jenseits des Ozeans, nur um pünktlich zum Rendezvous
mit Mariettos Faust zu erscheinen. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass nur der Zufall dahintersteckte? Und wie hoch,
dass eine höhere Macht, vielleicht eine Göttin, dies ermöglicht hatte?
|369| Wer meinte, er könne einen Minister auf Grundlage einer blauen Glasscherbe anklagen, der war absolut wahnsinnig. Wer meinte,
ein Staatsanwalt würde seine Karriere aufs Spiel setzen, um zwei bereits gelöste Fälle wieder aufzurollen, der war noch wahnsinniger.
Deshalb hatte der Kommissar während des Gesprächs auf der Terrasse seinen Verzweiflungsversuch gestartet und geblufft, hatte
die Namen von Marietto und Sabrina hingeworfen, damit dem Minister die Nerven durchgingen. Ranieri hatte sicher ein grandioses
Blatt in der Hand, aber beim Pokern ist keine Kartenkombination bombensicher. Man kann einen Royal Flush mit Ass in Herz haben,
aber wenn der andere einem Angst einflößt, dann fragt man sich irgendwann, ob dieser andere womöglich einen Royal Flush mit
dem kleinen Ass in Pik hat. Und so könnte man eine falsche Entscheidung treffen.
Marco Luciani beendete sein Training, kehrte ins Hotel zurück, duschte sich, dann schaltete er das Handy ein und hörte ein
zweifaches Piepsen, das zwei Nachrichten auf der Mailbox meldete. Er rief die 4919 an und erkannte den römischen Akzent von
Valerio, der fragte, ob alles klar sei und ob Luciani etwas brauche. Dann eine zweite Stimme, mit süditalienischem Akzent,
die ihn auf dem Bett hochfahren ließ: »Signor Commissario, Sie kennen mich nicht, aber ich muss mit Ihnen sprechen. Die Sache
ist wichtig. Sie betrifft die Statue und einen Mord, der viele Jahre zurückliegt.«
Er wählte die Nummer, die sein Handy gespeichert hatte. Der andere nahm beim ersten Klingeln ab.
Marco Luciani kontrollierte Waffe und Munition und steckte seine Jacke, eine Taschenlampe, eine Flasche Wasser, Spülhandschuhe
und einen kleinen Stahlspaten, den er am Nachmittag gekauft hatte, in den Sack. Er zog das Regencape an, um sich gegen die
Gischt und den Wind zu schützen, der abends auf dem Meer ordentlich auffrischte.
|370| »Gehen wir«, sagte er.
Der Kalabreser schaute ihn von unten her an. »Muss das wirklich sein? Können Sie nicht die Hafenpolizei anrufen und sich von
denen hinbringen lassen?«
»Nein. Kann ich nicht. Wir fahren auf ein Privatgelände, und ich habe keinen Durchsuchungsbefehl. Wenn ich ihn beantrage,
werde ich ihn nicht kriegen. Und wenn sie ihn mir doch geben sollten, kommt er zu spät. Der Moment ist da, und Sie sind der
Einzige, der mir helfen kann. Das sind Sie Marietto schuldig. Und auch sich selbst.«
Der Kalabreser nickte. »Und was wird aus mir?«
»Wenn das, was Sie mir erzählt haben, wahr ist und wenn wir den Fall damit abschließen können, dann schreibe ich, dass Ihre
Mithilfe entscheidend war. In Anbetracht dessen sowie Ihres Alters, denke ich, werden die Richter Milde walten lassen.«
»Ich habe Ihnen die reine Wahrheit gesagt«, sagte der Kalabreser und stand mit Mühe von dem Stuhl auf, auf dem er die letzten
beiden Stunden gesessen und alles erzählt hatte, was er über den
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