Keine Pizza für Commissario Luciani
Zeit zum Nachdenken hatte. Keine kniffligen Fälle, keine Ferien, nur endlose Stunden in Büro und Wohnung, in denen ich mich
mit meinen Gewissensbissen wegen Giampieris Tod und den wehmütigen Gedanken an die Tage mit Sofia Lanni 1 herumgequält habe.
»Morgen ist ein neuer Tag«, sagte er sich laut, »morgen ist ein neues Jahr.« Er wünschte sich, dass es mit einem schönen Mord
beginnen würde, mit einem dieser schwierigen Fälle, die Wut und Adrenalin in seine Venen pumpten und ihn an nichts anderes
denken ließen.
|91| Als er gegen zehn auf die Dienststelle kam, sah er Livasi in dessen Büro mit Calabrò und Iannece vor dem Computer stehen.
»Schauen Sie sich das mal an, Commissario. In Rom haben sie eine Journalistin umgebracht.«
Sie lasen die Homepage des »Corriere della Sera«. Am Vorabend war ein Mädchen in seinem Wohnzimmer erschossen worden, eine
Kugel in den Kopf und zwei in den Rücken. Marco Luciani betrachtete das Foto des Opfers. Wahnsinnsbraut. Sabrina Dongo, neunundzwanzig
Jahre alt. Einstmals Schauspielerin in einer Vorabendserie, jetzt freie Journalistin für die RAI. Auf der Seite stand schon
eine kleine Galerie von Fotos aus dem Internet. Auf einigen trug sie nicht besonders viel, wie übrigens auch am Mordabend.
Im Moment der Tat, erläuterte der Artikel, war sie nur mit einem seidenen Hausmantel und einem schwarzen Spitzentanga bekleidet
gewesen. Man hatte sie am Morgen gefunden, aber der Tod war am Abend davor eingetreten. Eine Nachbarin hatte Schüsse gehört,
diese aber für Knallkörper gehalten. Es war ja kurz vor Silvester.
»Armes Mädchen«, seufzte Livasi.
»Wer ein so schönes Mädchen umbringt, ist schlimmer als ein Killer. Der ist ein Hinterlader«, sagte Iannece und schüttelte
den Kopf.
Marco Luciani spürte, wie Neidgefühle an ihm nagten. Dieser Fall hatte alle Ingredienzen eines Spitzenthrillers: eine junge,
attraktive Journalistin, Sex und unbequeme Ermittlungen. Der Mörder konnte ein enttäuschter Liebhaber sein, ein perverser
Fan oder ein Dealer, der durch einen Fernsehbeitrag enttarnt worden war.
Luciani ging in sein Büro, nahm das Telefon und rief die Dienststelle in Rom an. Mit Auro Valerio, einem der Vizekommissare
in der Mordkommission, war er gut bekannt.
|92| »Ej Lucio, ausgerechnet heute musst du mir auf die Eier gehen!«, begrüßte ihn dieser.
»Ich habe Langeweile. Nie krieg ich mal so einen schönen Fall ab wie ihr.«
»Ach der? Längst gelöst, mein Gutster.«
»Ach was?!«
»Tja. Die Nachbarin hat gestern Abend einen Neger aus dem Haus des Mädchens kommen sehen. Der liegt schon in Ketten wie Kunta
Kinte. Du hast mich gerade in einer Pause des Verhörs erwischt.«
»Und was ist das für ein Typ?«
»Trainer in einem Fitnesscenter. Halt: ›Personal Trainer‹, wenn es nach ihm geht. Scheiße noch eins. Ganz schöner Stier, meint,
er hätte es ihr regelmäßig besorgt. Auf mich wirkt er eher wie ’ne Schwuchtel. Diese ganzen Fitness-Hänschen sind doch Schwuchteln.«
In diesem Fall hätte Iannece recht gehabt, dachte der Kommissar. »War sie jetzt eigentlich Schauspielerin oder Journalistin?«
»Was? Willst du mich verarschen? Oscar-Statuetten habe ich bei ihr zu Hause jedenfalls keine gesehen. Und Pulitzer-Preise
noch weniger. Dafür hatte sie aber zehn Paar Stiefel im Schrank, und zwar für achthundert Euro das Stück. Und in einer Kommode,
da haben wir noch das Beste gefunden: Handschellen, Perücken, Vibratoren und Gugelhupfslips, weißt schon, mit dem Loch in
der Mitte. Jetzt bringen wir den Neger erst einmal dazu, dass er uns ein paar Spirituals singt, und dann amüsieren wir uns
mit dem Terminkalender der Kleinen und sorgen dafür, dass der eine oder andere brave Ehegatte einkackt«, sagte er lachend.
»Du bist das übliche Sackgesicht.«
»Wozu rede ich überhaupt mit dir? Bist doch nur neidisch. Müsstest mal sehen, was das für ein Geschoss war. Ich sage dir,
da musstest du schon einen Tausender hinlegen, |93| wenn du an die Zündhülse wolltest. Okay, Lucio, ich muss, der Neger ruft nach der finalen Kopfnuss.«
»Gut. Halt mich auf dem Laufenden«, sagte der Kommissar und legte auf. Er bedauerte, dass der Fall bereits gelöst war. Aber
womöglich war das ein Zeichen, vielleicht würde die klassische Neujahrsleiche zum Ausgleich für ihn abfallen. Es waren ja
immer noch zwölf Stunden Zeit.
Kurz vor drei verließ Marco das Büro, ging in die Tiefgarage, holte seinen alten
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