Keine Pizza für Commissario Luciani
Clio und fuhr Richtung Corso Italia. Er hatte
keine Eile, nach Camogli zu kommen, und da der Tag klar war, wollte er die herrliche Fahrt die Küste entlang auf der Via Aurelia
in vollen Zügen genießen. Er hatte seiner Mutter versprochen, dass er am Nachmittag in der Villa Patrizia vorbeikommen, seine
Sachen einräumen und sie, gemeinsam mit Tante Rita, zu Freunden bringen würde. Diese würden sie nach dem Mitternachtssekt
wieder zu Hause abliefern. Nachdem er den ganzen Dezember abwechselnd in Genua und in Camogli genächtigt hatte, konnte er
sich jetzt nichts mehr vormachen: Mit seinen achtunddreißig Jahren war er wieder unter Mamas Fittiche gekrochen. Als ersten
Vorsatz fürs neue Jahr schwor er sich, dass dieser Einzug in die Villa Patrizia kein Dauerzustand sein würde. Er setzte sich
eine Frist von maximal drei Monaten, als Übergangslösung während der Wohnungssuche.
Es herrschte kaum Verkehr, gegen halb vier erreichte er Recco, nahm die Abzweigung nach Camogli und überlegte, ob er kurz
am Supermarkt anhalten sollte. Gleich hinter der Kurve an der Cala dei Genovesi sah er jedoch einen Polizeiwagen stehen, mit
Blaulicht, davor einen Rettungswagen. Ein Beamter stand neben der offenen Fahrertür und sprach ins Funkgerät. Marco Luciani
passierte die Stelle, parkte den Clio, stieg aus und fragte, was passiert sei.
|94| »Eine Leiche im Meer, Commissario«, sagte der Beamte, der ihn sofort erkannt hatte.
»Wir haben sie gerade geborgen, ich habe den Leichenwagen angefordert und den Staatsanwalt verständigen lassen.«
Eine böse Vorahnung setzte sich im Hirn des Kommissars fest. »Ich schaue mir das mal an. Liegt sie unten am Strand?«
»Ja, wenn Sie dieser
creuza
bis ans Ende folgen, kommen Sie direkt hin.«
Mit bangem Herzen stieg er den schmalen, steilen, ziegelsteingepflasterten Weg hinunter ans Wasser. Das erste, durch Häuser
und Vegetation beschattete Stück verlief parallel zur Eisenbahnlinie; hier war es kühl und feucht. Nach einigen hundert Metern
machte die Creuza einen Rechtsschwenk, und der Horizont weitete sich über einer kleinen Kiesbucht, die auch im Sommer relativ
ruhig und im Winter praktisch verlassen war.
Die Männer mit der Bahre und ein weiterer Polizist standen um einen aufgequollenen Leichnam. Sie redeten mit einem Mann, der
Gummistiefel und eine grüne Regenjacke trug.
»Commissario. Sie haben sich extra hier heraus bemüht?«, fragte einer der Beamten.
»Nein, ich kam zufällig vorbei. Was ist passiert?«
»Der Herr hier hat uns informiert, dass eine Leiche im Wasser trieb. Wir haben sie gerade an Land gezogen.«
Marco Luciani warf einen flüchtigen Blick auf das bläulichweiße, aufgeschwemmte Gesicht des Toten. Dann musterte er den Zeugen.
»Wissen Sie, wer das ist?«, fragte er, auf die Leiche deutend.
»Das ist Marietto. Marietto Risso, ein alter Fischer.«
Der Kommissar riss die Augen auf, ging neben der |95| Leiche in die Hocke und betrachtete das aufgedunsene Gesicht genauer. Und ob er das war! Luciani führte eine erste Inaugenscheinnahme
des Leichnams durch. Schwer zu sagen, ob er Verletzungen hatte, aber in der Kleidung waren keine Löcher, und auch nicht am
Kopf. Über den Daumen gepeilt, musste er einige Stunden im Wasser getrieben haben, wahrscheinlich seit dem Vorabend.
»Wie haben Sie ihn denn sehen können? Von der Straße aus?«
»Nein. Ich war heruntergekommen, um ein bisschen Treibholz zu suchen, ich sammle gerne ausgefallene Sachen am Strand.« Er
schwieg einen Moment, weil ihm klar wurde, welch bittere Ironie in seinen Worten lag. »Sicher, etwas so Ausgefallenes hatte
ich natürlich nicht erwartet. Ich habe ihn entdeckt, weil er fast schon am Ufer war, da drüben bei dem Felsen. Ich habe ihn
umgedreht, gemerkt, dass er tot war, und dann habe ich ihn nicht mehr angefasst und sofort die Polizei verständigt.«
»Ist es lange her, seit Sie ihn das letzte Mal lebend gesehen haben?«
»Ach, armer Marietto. Das letzte Mal hatte ich ihn gesehen … keine Ahnung, vor Weihnachten, glaube ich. In letzter Zeit war
er ein bisschen komisch. Ich glaube, er wollte Schluss machen mit allem.«
Marco Luciani seufzte. Da ist er also, mein Silvesterkrimi. Ein alter Mann, der allein nicht mehr den Mut hat weiterzuleben.
Besser, ich fahre zu meiner Mutter, alles Weitere sollen die Beamten hier alleine regeln.
Während er die Creuza wieder hochstieg, klingelte in seiner Hosentasche das Handy.
»Commissario? Hier ist
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