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Keine Pizza für Commissario Luciani

Titel: Keine Pizza für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Paglieri
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danach.
    »Ein Brief, den Herr Risso mir am Vorabend seines Verschwindens anvertraut hat. Er bat mich darum, Ihnen den Umschlag auszuhändigen,
     falls er nicht zurückkommen sollte.«
    »Der ist offen. Haben Sie ihn gelesen?«
    »Natürlich habe ich ihn gelesen.«
    »Und worauf haben Sie danach noch gewartet?«
    Olga hob eine Augenbraue. »Dass Sie kommen und ihn abholen würden. Glauben Sie, ich spiele hier den Postboten? Ich wusste
     ohnehin, dass Sie heute auftauchen würden.«
    Marco Luciani seufzte und zog das Papier aus dem Umschlag. Es war mit zittriger Hand beschrieben, in einer Schrift, die er
     selbst als Schulkind verwendet hatte. Das große C hatte einen kleinen Aufstrich, das A war ein absurdes |154| Oval, ebenfalls mit Stützstrich, das P hatte einen völlig sinnlosen Schnörkel. Der Kommissar spürte eine Woge heftiger Wehmut
     in sich aufsteigen. Er unterdrückte sie, um sich auf den Inhalt des Briefes zu konzentrieren.
    »Caro Commissario Luciani,
    ich bitte Sie um Entschuldigung, wenn ich mich der Verhaftung entziehe. Aber die Faschisten sind zurückgekehrt, und das bedeutet,
     dass meine Stunde endlich gekommen ist.«
    Verhaftung?, dachte Marco Luciani. Warum hätte ich ihn denn verhaften sollen? Und die Faschisten? Was zum Kuckuck meinte er
     damit?
    »Wir haben aus der Geschichte nichts gelernt. Der Mensch ist nach wie vor der größte Feind des Menschen. Wir zerfleischen
     einander und vergessen Solidarität, Freundschaft und Brüderlichkeit. Wer etwas besitzt, verteidigt es wutschnaubend gegen
     den, der nichts besitzt. Er errichtet Mauern, zieht Grenzen und baut Gefängnisse. Niemand denkt daran, die Gesellschaft gerechter
     zu gestalten, und die Klassengegensätze wachsen, statt abzunehmen.«
    Wie konnte so jemand mit meinem Vater befreundet sein?, fragte sich Marco Luciani kopfschüttelnd.
    »Sehen Sie, Commissario, in diesen Tagen habe ich an Ihren Vater zurückgedacht, und meinem alten kranken Hirn sind viele Dinge
     wieder eingefallen. Zum Beispiel, wie stolz er auf seinen Sohn war, den Kommissar. Als Sie damals in der Sache mit dem Fußball
     ermittelten, hat der ganze Ort über Sie geredet. In meinem Alter kann ich nicht ins Gefängnis zurück, aber ich kann diese
     Geschichte noch zu Ende bringen. Und um Ihnen zu beweisen, dass ich Ihnen vertraue, werde ich Ihnen ein Geheimnis verraten:
     Das Leben ist genau wie ein Fußballspiel zwischen zwei Mannschaften, die eine aus Reichen, die andere aus Armen. Auch wenn
     man in der Mannschaft der Armen spielt, glaubt man, sobald man auf dem Rasen aufläuft und die |155| Fans einem zujubeln, wenn die Fahnen winken und die Schlachtengesänge erschallen, dass man Großes bewirken kann. Das Spiel
     gewinnen, das entscheidende Tor schießen oder die Vorlage dazu geben. Es ist egal, ob du in der schwächeren Mannschaft bist,
     in der des Abschaums, der Parias, die in zerfetzten Trikots spielen und mit löchrigen Schuhen. Wenn man aufläuft, sagt man
     sich immer wieder, dass letztlich elf gegen elf spielen, dass die Ausgangsbedingungen für alle gleich sind. Solange der Ball
     im Anstoßkreis liegt, ist noch alles möglich. Das ist ein magischer Punkt, und ein magischer Zeitpunkt, der einzige, an dem
     die Waagschalen der Gerechtigkeit in absolutem Gleichgewicht sind. Dann pfeift der Schiedsrichter, und wenige Minuten später
     weißt du, wie die Sache ausgehen wird. Die Reichen werden gewinnen, weil sie taktisch klug agieren, weil sie stark und gemein
     sind. Und sollte für die Armen der Sieg ausnahmsweise doch einmal in Reichweite geraten, dann sorgt der Schiedsrichter dafür,
     dass sie dennoch verlieren. Sie wissen das genau, Commissario. Oder es wird ein Verräter dafür sorgen, einer der Kameraden,
     mit denen man gemeinsam gekämpft hat und der nur darauf wartet, in die gegnerische Mannschaft zu wechseln, einer von ihnen
     zu werden, sich auf Kosten der anderen zu bereichern. Mein Leben lang habe ich geglaubt, dass alle Menschen gleich sind, Commissario,
     und ich habe gehofft, dass eine Mannschaft aus armen Schluckern auf Augenhöhe mit den Reichen spielen könnte. Aber so ist
     es nicht. Den Aufstieg schafft immer nur ein Einzelner, und wenn man aufgestiegen ist, dann werden die einstigen Kameraden
     zur schmählichen Erinnerung, die man schnell auslöschen muss. Ich aber habe mich nie auch nur um eine Stufe erhöhen wollen,
     und meine Kameraden habe ich nie vergessen.«
    »Er konnte gut schreiben, für einen Fischer«, sagte der

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