Keine Schokolade ist auch keine Loesung
gerahmten Brille versteht schließlich den Wink und steht auf. Ein kollektives Seufzen der Erleichterung ist von der Filmcrew zu hören.
»Also, meine Frage ist, wie weiß man, worüber man schreiben soll?«, sagt Emmanuella. »Ich habe verstanden, dass ein Song eine Geschichte erzählen soll, aber woher weiß ich, welche Geschichte ich erzählen soll? Ich habe so viele Ideen im Kopf – jeden Tag passiert mir irgendwas, und ich denke, oh, daraus könnte ein guter Song werden, aber dann schreibe ich es auf und finde es nur noch doof.«
Cassidy, in deren Nähe ich zufällig sitze – sie sitzt auf einer Couch neben ihrer besten Freundfeindin Mallory, ich auf dem Boden, außerhalb der Kamerareichweite –, beugt sich zu Mallory hin und sagt: »Und ich finde sie doof.« Mallory kichert.
»Psst«, zischt Sarah die beiden an.
Sie hockt neben mir und hat jedes einzelne Wort mitgeschrieben, das Tania bisher im Songwriting-Unterricht des Rock Camps gesagt hat. Sarah hat nämlich beschlossen, dass es für sie eine therapeutische Maßnahme sein könnte, Lieder zu schreiben, um ihren Kummer über die Trennung von Sebastian zu verarbeiten.
Ich versuche, es nicht persönlich zu nehmen, dass Sarah nun schon seit fast einem Jahr tagtäglich neben mir sitzt und mich noch kein einziges Mal gefragt hat, wie man einen Song schreibt, obwohl ich mehr davon geschrieben habe als Tania. Tatsächlich habe ich nie einen davon verkauft, deshalb verstehe ich das.
»Versucht, über das zu schreiben, was eure Leidenschaft weckt«, sagt Tania als Antwort auf Emmanuellas Frage. »Meine besten Songs kommen alle aus meinem Herzen. Sie erzählen Geschichten aus Zeiten, in denen mich et was emotional sehr stark bewegt hat … oder, besser gesagt, jemand …«
Sie schlägt schüchtern ihre langen – falschen – Wimpern nieder, und alle Mädchen kichern begeistert. Sie denken, Tania spricht gerade von Jordan. Die Wirkung ist tatsächlich ziemlich niedlich, als wäre es ihr peinlich, dass sie dabei ertappt wurde, dass sie an ihren Angebeteten gedacht hat, der zufällig ihr hinreißender Rockstar-Ehemann ist …
Aber ich weiß natürlich, dass sie einen anderen meint und nicht Jordan.
Jordan hat sich bereits ein paarmal in der Fischer Hall gezeigt, seit Tania zu meiner Überraschung beschlossen hat, sich meinen Appell zu Herzen zu nehmen und in ihrem Rock Camp zu erscheinen. Sobald einer der beiden einen Fuß in das Wohnheim setzt, ist das ganze Gebäude in Aufruhr. Da niemand Tania einen Vorwurf daraus macht, was passiert ist, hat diese Aufregung nichts mit Angst zu tun, sondern vielmehr mit Begeisterung. Alle hier – selbst diejenigen, die weder Tanias noch Jordans Musik ausstehen können so wie Sarah – vergöttern die beiden inzwischen. Sie sind so attraktiv, dass sie etwas geradezu Überirdisches ausstrahlen.
Tania sitzt in ihrer braunen Lederhose – so unpassend im Sommer – und dem weißen Pailletten-Trägertop, ihren Fünfzehn-Zentimeter-Stilettos und den Smokey Eyes da und wirkt wie etwas Ätherisches. Die Mädchen, die sich um ihren Hocker herum gruppiert haben, können nicht aufhören, sie anzustarren. Und Sarah kann das auch nicht.
Geschichten erzählen aus Zeiten, die einen emotional sehr stark bewegt haben , sehe ich Sarah in ihr Notizbuch kritzeln. Wie die Zeit, als Sebastian nach Israel ging und dir dein Herz herausriss.
Cassidy bemerkt ebenfalls, dass Sarah eifrig mitschreibt, und beugt sich wieder zu Mallory, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern, woraufhin beide kichern. Ich trete kurz gegen ihre Couch, und sie drehen die Köpfe zu mir und funkeln mich an. Ich blicke finster zurück.
»Aufpassen«, flüstere ich.
Cassidy zeigt mir den Mittelfinger. Ich halte nach ihrer Mutter Ausschau, aber die ist nirgendwo zu sehen. Die meisten Aufsichtsmütter betrachten den Theorieunterricht als Zeit für sich – im Gegensatz zum Praxisunterricht, in dem sie grundsätzlich präsent sind, um ihre kleinen Lieblinge anzufeuern, oder zu den Mahlzeiten, wenn die Kameras fast immer mitlaufen. In den Theoriestunden verkrümeln sie sich zum Shoppen, trainieren im Fitnessstudio, lassen sich die Haare und Nägel verschönern oder schütten drüben in der Bar im Washington Square Hotel so viele Cosmos in sich hinein, wie sie können.
»Schreibt über den Menschen, den ihr am meisten liebt«, fährt Tania fort und klimpert auf der Gitarre, die Lauren, die PA, ihr gerade gegeben hat. »Schreibt über den Menschen, den ihr hasst.«
Als Tania die
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