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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Gesicht … das war kein Irrtum. Ich war nicht blind vor Hoffnung. Das war Tara. Das war meine kleine Tochter.
    Mit breitem Lächeln und vollkommen unbekümmert rannte Tara auf Lorraine zu. Lorraine beugte sich hinunter und ihr Gesicht strahlte so himmlisch, wie es nur das einer Mutter kann. Sie nahm mein Kind in die Arme und hob es hoch. Jetzt hörte ich Taras melodiöses Lachen. Es versetzte mir einen Stich ins Herz. Tränen strömten meine Wangen hinunter. Lenny legte mir die Hand auf den Arm. Ich hörte ihn schniefen. Ich sah, wie der Ehemann, Abe, zu ihnen ging. Auch er lächelte.

    Ich beobachtete sie noch mehrere Stunden in ihrem kleinen, gepflegten Garten. Ich sah zu, wie Lorraine geduldig auf die Blumen zeigte und bei jeder erklärte, wie sie hieß. Ich sah zu, wie Abe Tara huckepack reiten ließ. Ich sah zu, wie Lorraine ihr beibrachte, die Erde mit der Hand festzuklopfen. Ein anderes Paar kam vorbei. Sie hatten ein kleines Mädchen in Taras Alter. Abe und der andere Vater ließen die kleinen Mädchen auf der Metallschaukel hinter dem Haus schaukeln. Ihr Lachen klang mir in den Ohren. Schließlich gingen alle ins Haus. Abe und Lorraine verschwanden als Letzte. Arm in Arm traten sie durch die Tür.
    Lenny sah mich an. Ich ließ den Kopf zurückfallen. Ich hatte gehofft, dies wäre der letzte Tag meiner Irrfahrt gewesen. Doch sie war nicht zu Ende.
    Nach einer Weile sagte ich: »Fahren wir.«

45
    Als wir wieder am Hotel ankamen, sagte ich Lenny, er solle nach Hause fahren. Er wollte bleiben. Ich versicherte ihm, dass ich das selbst hinkriegen würde – dass ich es selbst hinkriegen wollte . Widerstrebend ließ er sich darauf ein.
    Ich rief Rachel an. Es ging ihr gut. Ich erzählte ihr, was passiert war. »Ruf Harold Fisher an«, forderte ich sie auf. »Bitte ihn, alles über Abe und Lorraine Tansmore herauszufinden. Ich will wissen, ob da irgendwas ist.«
    »Okay«, sagte sie leise. »Ich wünschte, ich könnte bei dir sein.«
    »Ich auch.«
    Ich setzte mich aufs Bett. Mein Kopf sackte in meine Hände. Ich glaube nicht, dass ich geweint habe. Ich wusste nicht mehr, wie ich mich fühlte. Es war vorbei. Ich hatte erfahren, was zu erfahren war. Als Rachel zwei Stunden später zurückrief, konnte sie
mir nichts Überraschendes mitteilen. Abe und Lorraine waren anständige Bürger.
    Abe war der Erste in seiner Familie, der einen College-Abschluss gemacht hatte. Er hatte zwei jüngere Schwestern, die in der Nähe wohnten. Jede hatte drei Kinder. Er hatte Lorraine in seinem ersten Jahr auf der Washington University in St. Louis kennen gelernt.
    Es wurde dunkel. Ich stand auf und sah in den Spiegel. Meine Frau hatte versucht, mich umzubringen. Ja, sie war labil gewesen. Das wusste ich jetzt. Ach verdammt, wahrscheinlich hatte ich es auch damals schon gewusst. Es hatte mich wohl nicht sonderlich interessiert. Wenn das Gesicht eines Kindes zerstört wird, setze ich es wieder zusammen. Im Operationssaal kann ich Wunder bewirken. Aber als meine Familie zerbrach, hatte ich untätig zugesehen.
    Ich dachte darüber nach, was es hieß, Vater zu sein. Ich habe meine Tochter geliebt, das weiß ich. Doch nachdem ich Abe heute gesehen hatte, oder an Lenny beim Fußballtraining dachte, wurde ich unsicher. Ich fragte mich, ob ich als Vater geeignet war. Ich fragte mich, ob ich mich genug engagierte. Und ich fragte mich, ob ich es wert war.
    Kannte ich die Antworten bereits?
    Ich wollte meine kleine Tochter unbedingt wieder bei mir haben. Aber ebenso sehr wollte ich, dass es hier nicht um mich und meine Wünsche ging.
    Tara hatte so verdammt glücklich ausgesehen.
    Es war Mitternacht. Ich betrachtete mich noch einmal im Spiegel. Was, wenn es das Richtige war, das Ganze zu vergessen – sie bei Abe und Lorraine zu lassen? War ich wirklich mutig genug, stark genug, einfach wieder zu gehen? Ich starrte in den Spiegel und stellte mich dieser Frage. War ich stark genug?
    Ich lehnte mich zurück. Dann bin ich wohl eingeschlafen. Ein
Klopfen an der Tür schreckte mich auf. Ich sah auf die Digitaluhr neben dem Bett. Im Display stand 5:19.
    »Ich schlafe«, sagte ich.
    »Dr. Seidman?«
    Eine Männerstimme.
    »Dr. Seidman, mein Name ist Abe Tansmore.«
    Ich öffnete die Tür. Von nahem sah er attraktiv aus, erinnerte ein bisschen an James Taylor. Er trug Jeans und ein hellbraunes Hemd. Ich sah ihm in die Augen. Sie waren blau und gerötet. Meine mussten ähnlich aussehen. Eine Weile starrten wir uns einfach nur an. Ich wollte etwas

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