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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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verabredet, wie ihr euch erkennt! Du hast ihn doch
     noch nie gesehen! Und er dich auch nicht. Wer weiß, wie viele Leute da vor dem Denkmal rumstehen?«
    »Ach ja, richtig!« besann sich Vera. »Vielleicht ruft er gleich noch mal an?«
    Da klingelte es an der Wohnungstür. Es war Fjodor.
     
    Das Gewitter brach urplötzlich los. Woldoja konnte gerade noch in den erstbesten Hauseingang schlüpfen. Er stieg eine halbe
     Treppe hoch und stellte sich in den dunklen Winkel hinterm Fahrstuhl.
    Es stank nach Katzen und Urin. Es war ein altes Haus, ohne Türcodes. Sämtliche Lampen waren herausgeschraubt. Das diffuse
     Gewitterlicht drang kaum durch das schmutzige Treppenhausfenster. Der Regen rauschte, hin und wieder zuckte ganz nah ein Blitz
     und tauchte das Treppenhaus in schauriges, unwirkliches Licht.
    Die Haustür klappte. Woldoja trat einen Schritt vor, beugte sich übers Treppengeländer und erkannte eine kindliche Silhouette.
    Ein klitschnasses, etwa siebenjähriges dickes Mädchen kam barfuß ins Haus, die Sandalen in der Hand. Sie blieb stehen und
     schüttelte ihr nasses Haar. Wahrscheinlich überlegte sie, ob sie sich die Schuhe lieber anziehen oder barfuß hinaufgehen sollte.
     Plötzlich schrie sie laut auf.
    Wolodja begriff nicht gleich, was passiert war. Der Schrei des Mädchens ging in heiseres, krampfhaftes Husten über. Ohne zu
     zögern, eilte er instinktiv dem Kind zu Hilfe, mehrere Stufen auf einmal nehmend, rannte er die Treppe hinunter. Da erst entdeckte
     er einen großen, gebeugten Mann. Ein Blitz erhellte das Treppenhaus. Die Hose des Mannes stand offen.
    »Mama!« schrie das Kind unter Husten.
    Oben klackte ein Schloß, eine Tür ging auf. Der große gebeugte Mann rannte aus dem Haus und knöpfte sich im Laufen die Hose
     zu.
    »Lidotschka! Lida! Hab keine Angst, mein Kind, ich bin ja da!« rief eine erschrockene Frauenstimme, und rasche Schritte polterten
     die Treppe herunter.
    Auch aus der Wohnung im Erdgeschoß kam jemand.
    Das Kind braucht meine Hilfe jetzt nicht, aber das Böse muß bestraft werden. Die Haustür fiel hinter Wolodja zu.
    Der Regen peitschte ihm ins Gesicht. Durch den dichten Wasserschleier konnte er die große Gestalt, die rasch den leeren Hof
     überquerte, kaum noch ausmachen. Ringsum war keine Menschenseele. Wolodja flog beinahe durch den strömenden Regen. Im Laufen
     riß er die Pistole aus der Tasche.
    Er hatte die Waffe bereits am frühen Morgen im Wäldchen von Serebrjany Bor eingeschossen. Die trockenen Schüsse waren weit
     durch den riesigen, menschenleeren Park gehallt und über die träge dahinfließende, mit einem Dunstschleier überzogene Moskwa.
     Wolodja war angenehm überrascht gewesen: Er schoß besser, als er gedacht hatte. Eine Verdickung an einem Birkenstamm hatte
     er auf Anhieb getroffen, fast ohne zu zielen. Er hatte sich bloß vorgestellt, das sei Skwosnjak. Und sofort getroffen.
    Nun mußte er im Laufen schießen, durch dichten Regen, auf einen im Zickzack fliehenden Mann. Dieser zufällige Schuß konnte
     ihn teuer zu stehen kommen, womöglich würde man ihn erwischen und einsperren. Ballistische Untersuchungen waren für die moderne
     Kriminalistik ein Kinderspiel, die Kugel würde ihn verraten, dennoch mußte er die Waffe unbedingt behalten … Haß und Abscheu
     waren stärker als seine Vernunft. Wie viele Kinder sollten noch entsetzt aufschreien beim Anblick der offenen Hose im dunklen
     Hausflur?
    Nein, niemand würde mehr schreien. Dieser Mistkerl würde niemanden mehr erschrecken.
    In einem dunklen Torbogen blieb der Laufende unwillkürlich stehen, nur einen Augenblick, um zu verschnaufen, sich umzuschauen.
     Ganz nahe krachte ein Donnerschlag, und Wolodja schoß. Der Mann zuckte zusammen, erstarrte mit hochgerissenen Armen, als wollte
     er fliegen, und sackte dann langsam und schwer zusammen.
     
    »Bist du eben erst aufgestanden? Wer hat da gerade angerufen?« Fjodor küßte Vera auf die Wange.
    »Wegen meiner Arbeit«, antwortete sie. »Ich muß in einer Stunde weg. Hast du schon gefrühstückt?«
    »Nein. Ich mache uns gleich Frühstück. Zieh dich inzwischen an. Sonja, wie viele Scheiben Toast für dich?«
    »Zwei.«
    Als das Telefon erneut klingelte, stand Vera mit der Zahnbürste im Mund am Waschbecken. Sonja griff hastig nach dem Hörer,
     um Fjodor zuvorzukommen. Sie nahm an, es sei Kurbatow, der mit Vera vereinbaren wollte, wie sie einander erkennen konnten.
     Aber es war eine andere Stimme, fremd, dumpf, sehr

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