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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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den Zoo! Gehen Sie wenigstens mit in den Zoo, ja?«
    Sonja plapperte wie ein Wasserfall, was ihr gerade in den Sinn kam. Vera hatte sich inzwischen die Schuhe angezogen, griff
     nach ihrer Handtasche und öffnete die Tür.
    Vielleicht sollte ich Sonja mitnehmen? Sie mag Fjodor nicht, sie wird sich mit ihm allein unwohl fühlen, und Mama kommt nicht
     so bald von der Arbeit. Aber es ist Gewitter, Sonja könnte sich erkälten. Wenn ich Sonja mitnehme, kommt er unweigerlich auch
     mit. Er darf Kurbatow nicht begegnen, auf keinen Fall. Mein Gott, Stas! Das alles wirbelte in Veras Kopf durcheinander, als
     sie die Treppe hinunterrannte, weil ihr entfallen war, daß sie auch den Fahrstuhl hätte benutzen können.
    Der schwere Regen prasselte auf sie herab, direkt über ihr zuckte ein Blitz, kurz darauf grollte düster triumphierend der
     Donner. Vera merkte nicht einmal, daß sie vor der Haustür in eine riesige Pfütze getreten war, ihre Jeans waren bis zum Knie
     naß, in den weichen Wildlederschuhen schmatzte Wasser. Aber das war ihr egal. Auf der menschenleeren Straße konnte sie im
     Schutz des Regenschleiers endlich weinen.
    Mein Gott, warum? Wegen der Wohnung von der betrunkenen eigenen Frau erstochen. Was für ein scheußlicher, geschmackloser Tod!
     Aber vermutlich war der Tod immer scheußlich und geschmacklos.
    Bis zum Majakowskiplatz waren es zwanzig Minuten Fußweg. Vera hatte ihre Uhr vergessen, sie wußte nicht, wiespät es war. Weinend lief sie durch den Regen, es kam ihr vor, als sei sie ganz allein in der menschenleeren Stadt, auf den
     nassen schwarzen Straßen, und als sei die Welt nun anders, ohne Stas, den schwachen, feigen, geliebten Stas Selinski …
    Als Vera den Platz überquerte, entdeckte sie vor dem Denkmal eine einsame Männergestalt mit einem großen schwarzen Schirm.
     
    Erst in der Metro kam Wolodja zu sich. Niemand hatte ihn verfolgt, dennoch war er gerannt wie ein Irrer. Das wirkte ganz normal:
     Wer rannte bei solchem Regen nicht, zumal wenn er keinen Schirm bei sich hatte?
    Trotz der schlaflosen Nacht war er überhaupt nicht müde. Er war furchtbar aufgekratzt, er zitterte wie im Fieber. Merkwürdigerweise
     fühlte er sich erst jetzt als Mörder. Dabei hatte er doch auch vorher schon getötet, hatte Urteile vollstreckt, die er selbst
     verhängt hatte.
    Aber Sprengstoff und ein gezielter Schuß – das waren verschiedene Dinge. Das Ergebnis war dasselbe, und trotzdem – wenn man
     an raffinierten Konstruktionen komplizierter Sprengladungen bastelte, dachte man nicht an das Ergebnis. Der kluge Mechanismus
     übernahm alles – die Urteilsvollstreckung und die Verantwortung. Ein Mechanismus war gesichtslos, eine Explosion war quasi
     etwas Elementares, war Schicksal.
    Ein Schuß dagegen war etwas ganz anderes.
    Viele an Wolodjas Stelle wären womöglich ausgerastet, wenn sie dieses Scheusal mit der offenen Hose gesehen und das Kind schreien
     gehört hätten. Bestimmt hatte die Mutter des kleinen Mädchens gesagt oder gedacht: Ich würde den Kerl umbringen! Doch das
     waren bloß Worte. Wolodja aber hatte wirklich geschossen, hatte getan, was viele gern täten. Und das war gerecht. Das Böse
     mußte bestraft werden.
    Warum zitterte er dann so? Seine Zähne klapperten, ihm war schwindlig. Es war schließlich nicht das erstemal, daß er einen
     Mistkerl beseitigt hatte, andere redeten nur davon, er dagegen handelte …
    »Junger Mann, steigen Sie an der nächsten Station aus?« Wolodja war so in seine komplizierten Empfindungen vertieft, daß er
     einen Augenblick lang nicht wußte, wo er sich befand, und mit Erstaunen feststellte, daß er vor der Tür eines Metrowaggons
     stand.
    »Welche ist denn die nächste?« fragte er heiser.
    »Kiewskaja«, antwortete jemand hinter ihm. »Steigen Sie nun aus oder nicht?«
    »Ich steige aus.«
    Er stieg auf die Fili-Linie um. Hier waren die Züge wesentlich leerer. Es gab sogar freie Plätze. Er ließ sich schwer auf
     einen Sitz fallen.
    Er fuhr nach Hause. Er mußte sich eine kleine Atempause gönnen: Eine heiße Dusche, starken Tee mit Honig, ein bißchen Schlaf.
     Vermutlich hatte er sich im Regen doch eine Erkältung geholt. In diesem Zustand durfte man nichts unternehmen. Das konnte
     böse enden.
    Wolodja schloß die Augen, und ehe er sich’s versah, war er eingeschlafen.

Siebenundzwanzigstes Kapitel
    Golowkins Telefone, zu Hause und im Betrieb, wurden rund um die Uhr abgehört. Vor seinem Haus und vor der Makkaronifabrik
     standen

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