Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
und der Mittelmäßigkeit. Jeden Tag schauten Kinder sie an, und in ihren Herzen blieb etwas Ungutes zurück.
    »Das geht nicht«, flüsterte er sich selbst zu, »sie werden dich erwischen, du kommst ins Gefängnis und gehst dort drauf. Davon
     wird das Böse in der Welt nicht weniger. Das geht nicht.«
    Er merkte, daß er mit der Stille redete, mit dem klaren frühen Morgen. Auf einmal überkam ihn furchtbare, unerträgliche Wehmut.
     Er war ganz allein auf der Welt, und keiner würde weinen, wenn man ihn morgen erwischte und ins Gefängnis steckte. Niemand
     würde ihm danken für die langen schlaflosen Nächte, für sein endloses Suchen, für die vollstreckten gerechten Urteile. Nicht
     einmal die hübsche, rundgesichtige Blondine, die aussah wie seine Großmutter in ihrer Jugend.
     
    »Sind Sie zufällig Kurbatow?« fragte eine Kinderstimme Anton.
    »Ja, ich bin Kurbatow.«
    »Sagen Sie, womit hat Ihre Firma gehandelt?«
    Das Kind sprach sehr leise, vermutlich hatte es die Hand auf den Hörer gelegt. Anton wunderte sich über die Frage.
    »Warum willst du das wissen?«
    »Sagen Sie es mir erst, aber bitte die Wahrheit. Dann erkläre ich es Ihnen.«
    »Vielleicht stellst du dich erst einmal vor.« Anton lächelte. »Ich weiß nicht mal, ob du ein Junge oder ein Mädchen und wie
     alt du bist.«
    »Ich bin ein Mädchen. Sonja. Ich bin zehn Jahre alt. Also, womit hat Ihre Firma gehandelt?«
    »Sehr angenehm, Sonja. Ich heiße Anton. Unsere Firma hat Vermittlerdienste angeboten. Weißt du, was das ist?«
    »Natürlich weiß ich das. Und was genau haben Sie vermittelt?«
    »Immobilienkäufe im Ausland.«
    »Ist das die Wahrheit?«
    »Warum sollte ich lügen?«
    »Na, wer weiß? Vielleicht haben Sie in Wirklichkeit mit Waffen gehandelt oder mit lebender Ware?«
    »Nein, mit solchen Dingen haben wir nicht gehandelt. Nur mit Häusern in Tschechien.«
    Diese Kinder heutzutage, dachte Anton kopfschüttelnd, sehen dauernd Thriller im Fernsehen und auf Video, und dann spielen
     sie die nach.
    »Entschuldige bitte, könntest du vielleicht Vera ans Telefon holen?« fragte er das seltsame Mädchen vorsichtig.
    »Sie schläft. Aber ich gehe sie wecken.«
    »Danke.«
    Er mußte ziemlich lange warten. Offenbar schlief Vera sehr fest, obwohl es schon fast zwölf war.
    »Ja, ich höre«, sagte endlich eine verschlafene Stimme am Telefon.
    »Guten Morgen, Vera. Entschuldigen Sie meine Aufdringlichkeit«, begann Anton, »ich wollte Sie nur erinnern … Haben Sie das
     Fax gefunden?«
    »Nein, nein, ich muß mich entschuldigen. Ich habe es noch gar nicht gesucht, ich bin nicht dazu gekommen. Aber ich kann gleich
     nachsehen. Rufen Sie doch in zwanzig Minuten wieder an.«
    »Kann ich nicht am Telefon warten?«
    »Wie Sie wollen. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie lange es dauert.«
    Es dauerte nur einen Moment. Vor ein paar Tagen hatte Vera ihre Schreibtischschubladen aufgeräumt. Alles, was sie benötigte,
     hatte sie in Mappen gelegt, und in diesen Mappen konnte das Fax nicht sein. Da brauchte sie gar nicht nachzusehen. Sie dachte
     schon, sie hätte das für Kurbatow so wichtige Fax weggeworfen, da entdeckte sie unter ihrem Drucker ein weißes Stück Papier.
    »Hören Sie?«
    »Ja.«
    »Ich hab’s gefunden. Ich glaube, das ist das bewußte Fax. Auf tschechisch, handgeschrieben. Soll ich es Ihnen gleich vorlesen?
     Es sind nur ein paar Worte. Einfach eine Adresse und noch etwas, das ich nicht verstehe. Irgendeine Brunhilde …«
    »Brunhilde – ja, das ist klar«, sagte Anton nach einer langen Pause. »Und die Adresse, ist die in Moskau?«
    »Nein. Karlštejn. Soweit ich weiß, ist das eine alte Stadt in der Nähe von Prag. Wir sollten uns am besten treffen, dann gebe
     ich Ihnen das Fax. Weitere Faxe habe ich leider nicht aufgehoben.«
    »Weitere brauche ich auch nicht. Nur dieses, das ist das einzige … Das wichtigste … Vielen herzlichen Dank, Vera.« Seine Stimme
     verriet, wie erregt er war – sie klang plötzlich heiser und dumpf. »Wo und wann können wir uns am besten treffen?«
    Nein, er ist kein Bandit, dachte Vera noch einmal, er lügt nicht und ist ganz bestimmt nicht gefährlich …
    »Sagen wir auf dem Majakowskiplatz. Vor dem Denkmal«, schlug sie vor. »Da können wir uns nicht verfehlen.«
    »Wann?«
    »Jetzt ist es fünf vor zwölf. Sagen wir um eins, schaffen Sie das?«
    »Selbstverständlich. Ich danke Ihnen.«
    »Bis dann.«
    Kaum hatte Vera aufgelegt, da sagte Sonja aufgeregt: »Ihr habt gar nicht

Weitere Kostenlose Bücher