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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Bescheid.
    Plötzlich trat ein etwa sechzehnjähriges Mädchen unsicher zu dem Milizionär, der neben seinem Auto stand und rauchte.
    »Entschuldigen Sie, an wen muß ich mich wenden?« fragte sie leise.
    »In welcher Angelegenheit?« Träge musterte der Unterleutnant das dürre Mädchen mit den turmhohen Plateausohlen.
    »Wegen des Ermordeten.«
    »An den Untersuchungsführer.« Der Milizionär nickte hinüber zum Haus. »Er kommt gleich raus, dann können Sie mit ihm sprechen.«
    Das Mädchen war sichtlich aufgeregt. Die leise, schüchterne Stimme paßte so gar nicht zu dem giftgrünen Minirock, der grellrosa
     Bluse, die eher ein schmales Leibchen war, und dem dicken Make-up auf dem kindlichen Gesicht.
    Zwei Milizionäre führten Inna heraus. Mit gesenktem Kopf ging sie rasch zum Auto, bemüht, niemanden anzusehen.
    Das Summen der kleinen Menschenmenge wurde lauter.
    »Gehen Sie auseinander, Bürger, gehen Sie auseinander!« rief der Unterleutnant und nickte dem Mädchen zu. »Da ist er, Untersuchungsführer
     Gusko.«
    Das Mädchen trat auf den untersetzten älteren Mann in Zivil zu.
    »Guten Tag, ich habe gestern abend gesehen, wie der Ermordete, ich meine Selinski, wie er im Treppenhaus mit einem Mann geredet
     hat.«
    »Name?« fragte Gusko schnell.
    »Von wem?« fragte das Mädchen verwirrt zurück. »Ich weiß nicht … Ich hab ihn gestern zum erstenmal gesehen.«
    »Nicht doch – Ihr Name.« Gusko runzelte die Stirn.
    »Ich wohne hier im Haus, in der Wohnung gegenüber. Lukjanowa heiße ich. Irina Lukjanowa.« Das Mädchen sprach hastig, als hätte
     sie Angst, der Untersuchungsführer würde sie nicht zu Ende anhören und einfach wegfahren. »Ich hab gesehen, wie Selinski gestern
     abend vorm Fahrstuhl mit einem jungen Mann geredet hat … Irgendwas von wegen ›Verhältnisse klären‹. Dann hab ich noch mitbekommen,
     wie Selinski gesagt hat: ›Hör mal, vielleicht bist du ja ein Irrer? So benimmt sich doch kein normaler Mensch.‹ Wörtlich erinnere
     ich mich nicht, aber etwas in der Art. Wissen Sie, sie standen da, als wollten sie sich gleich prügeln.«
    Die Ermittler hatten die Nachbarn bereits vernommen. Niemand hatte etwas gehört oder gesehen. In der Nacht war alles still
     gewesen. Woher kam auf einmal dieses Mäuschen im giftgrünen Minirock?
    Gusko war keineswegs scharf darauf, daß sich ein simpler Beziehungsmord plötzlich als etwas Ernsteres, Kompliziertes entpuppte.
     Aber er war verpflichtet, sich die Aussagen der ungebetenen Zeugin anzuhören und sie zu Protokoll zu nehmen.
     
    An Wolodjas Auto war die Kupplung kaputt, aber er kümmerte sich nicht um die Reparatur, dafür hatte er jetzt keine Zeit.
    Er hatte den ganzen Tag wartend vor dem Haus der kleinen Blondine verbracht. Aber sie war nicht aufgetaucht. Auch Skwosnjak
     hatte er nicht gesehen. Allerdings hatte er seinen Posten ein paarmal verlassen müssen. Die wachsamen Omas auf dem Hof schauten
     ihn langsam mißtrauisch an – oder kam ihm das nur so vor? Dann ging ein Junge mehrmals, vor sich hin pfeifend, an ihm vorbei,
     hin und zurück,und starrte Wolodja unverhohlen an. Oder kam ihm das auch nur so vor?
    Er konnte in dem alten Hof keinen günstigen Beobachtungspunkt finden. Er versteckte sich zwischen den Wellblechgaragen, doch
     von dort war der Hauseingang schlecht einzusehen, und dann erschien ein Autobesitzer und fragte ihn ohne Umschweife: »He,
     was lungerst du hier herum?«
    Da mußte er verschwinden.
    Die Menschen waren mißtrauisch geworden. Sie hatten Angst vor Autodieben, vor Einbrechern, vor Psychopathen. Er durfte nicht
     unnötig auffallen.
    Wolodja hatte gar nicht gemerkt, daß es längst Nacht war und die Metro nicht mehr fuhr. Er war daran gewöhnt, von der Metro
     unabhängig zu sein, er hatte ja normalerweise immer sein Auto.
    Skwosnjak würde wohl kaum mitten in der Nacht noch auftauchen. Schließlich mußte auch er mal schlafen. Wolodja überlegte,
     ob er ein Taxi nehmen und nach Hause fahren sollte, ein bißchen schlafen, oder ob er, statt unnötig Geld und Zeit zu verschwenden,
     seine Müdigkeit überwand und die Nacht lieber hier in der Nähe verbrachte, um nicht morgen wieder von vorn anfangen zu müssen.
    Vor Hunger hatte er leichte Magenschmerzen. Er ging zum Platz vor dem Belorussischen Bahnhof. Dort gab es Kioske, die Tag
     und Nacht geöffnet hatten, dort bekam man einen warmen Imbiß und Kaffee. Er mußte etwas essen. Danach würde er weitersehen.
    Als er neben einem Kiosk stand, ein warmes

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