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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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offiziell.
    »Guten Tag. Ich möchte bitte Vera sprechen.«
    »Augenblick …«
    Vera spülte sich rasch den Mund und nahm Sonja den Hörer aus der Hand.
    »Mein Name ist Sawjalow. Ich bin der Inhaber des Verlags … Vorletzte Nacht ist Stanislaw Selinski umgekommen. Die Beerdigung
     wird voraussichtlich am Montag stattfinden.«
    »Verzeihung, was haben Sie gesagt? Wie umgekommen? Er war vorgestern abend noch bei mir …«
    »Bei Ihnen?« Es folgte eine kurze Pause. »Seine Frau hat ihn in der Nacht erstochen. Betrunken, mit einem Küchenmesser.«
    »Nein«, sagte Vera leise und fest, »das kann nicht sein. Sie müssen sich irren.«
    »Ich verstehe, daß das für Sie ein Schock ist. Es fällt Ihnen schwer, das zu glauben. Es tut mir sehr leid. Ich rufe Sie morgen
     noch einmal an und sage Ihnen Bescheid, wann und wo die Einäscherung stattfindet. Und noch etwas …« – wieder eine kurze Pause
     –, »ich habe mit dem Untersuchungsführer gesprochen, er wollte wissen, wo Stas den Abend zuvor gewesen sei. Niemand wußte
     das. Möglicherweise wird jemand von der Staatsanwaltschaft Sie anrufen, aber im Grunde ist die Ermittlung reine Formsache.
     Es ist alles klar. Außer Inna kann es niemand getan haben.«
    »Aber warum?« hauchte Vera. »Weshalb?«
    »Sie wollten sich scheiden lassen, haben sich ständig gekracht, sie erhob Anspruch auf die Wohnung. Sie hatte viel getrunken
     und kann sich selbst nicht erinnern, wie sie ihn getötet hat. Als er schlief.«
    Veras Kehle krampfte sich zusammen, sie murmelte: »Entschuldigen Sie«, und legte auf.
    Sonja sah sie erschrocken an.
    »Was ist passiert? Du bist ja ganz blaß.«
    »Stas …«, flüsterte Vera.
    »Wo bleibt ihr denn? Das Frühstück ist fertig.« Fjodor erschien in der Küchentür. »Wer hat da angerufen? Was ist denn los?«
    Vera sah ihn an, als sähe sie ihn zum erstenmal – sie begriff nicht, was dieser vollkommen fremde Mann hier wollte, wieso
     er Mamas alte Schürze mit den blauen Hähnen umgebunden hatte und ein großes Küchenmesser in der Hand hielt. Mechanisch umarmte
     sie Sonja, als wollte sie für einen Augenblick vertraute menschliche Wärme spüren, dann ging sie wortlos in ihr Zimmer und
     schloß die Tür.
    »Was ist mit ihr, Sonja, weißt du, was los ist? Wer hat da eben angerufen?« fragte Fjodor, als sie zu zweit im Flur standen.
    »Ich weiß nicht.« Sonja zuckte die Achseln. »Vielleicht irgendwas wegen ihrer Arbeit?«
    Sie wußte genau, daß es nichts mit Veras Arbeit zu tun hatte. Irgend etwas war mit Stas Selinski. Etwas sehr Schlimmes.
    Fjodor klopfte an Veras verschlossene Tür.
    »Vera, mach auf, was ist denn los?«
    Vera zog das erstbeste an, was ihr in die Hände fiel, Jeans und ein T-Shirt. Sie wollte so schnell wie möglich weg, fortlaufen,
     irgendwohin, allein sein.
    Als sie zufällig zum Schreibtisch sah, fiel ihr das Fax wieder ein. Sie mußte sich mit Kurbatow treffen und es ihm geben.
     Er wartete, für ihn war das wichtig. Sie hatte es versprochen. Sie faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Tasche
     ihrer Jeans.
    »Lassen Sie sie in Ruhe, Fjodor, wenn sie nervös ist, rührt man sie besser nicht an. Gehen wir lieber frühstücken. Sie wird
     Ihnen später alles selber erklären«, sagte Sonja ruhig wie eine Erwachsene.
    »Nein, das kann ich nicht. Ich muß es wissen.« Er blieb vor der Tür stehen. »Vera, mach auf. Was soll das? Wer hat da angerufen?
     Du bist böse auf mich, ja?«
    »Das hat mit Ihnen gar nichts zu tun! Lassen Sie sie endlich in Ruhe. Verstehen Sie denn nicht?« fragte Sonja wütend. »Und
     überhaupt, ich habe Hunger.«
    In der Küche schlug mit lautem, klagendem Knall das Fenster zu. Matwej jaulte auf, kniff den Schwanz ein und rannte ins Bad.
     Plötzlich war es stockfinster, es blitzte und donnerte.
    Die Tür ging auf.
    »Entschuldige, Fjodor, ich muß jetzt weg«, sagte Vera leise.
    »Ich komme mit«, erklärte er. »Ich kann dich in dieser Verfassung nicht allein gehen lassen.«
    »Nein!« riefen Vera und Sonja im Chor.
    Er blickte von einer zur anderen. Es entstand eine peinliche, angespannte Pause. Sonja faßte sich als erste.
    »Bitte, bleiben Sie bei mir, ich bin nicht gern allein … Vera hat versprochen, daß sie heute mit mir in den Zoo geht, aber
     nun hat diese Firma angerufen …«
    »Welche Firma?« fragte Fjodor rasch.
    »Die, für die sie die Übersetzungen macht. Na, diese Organisation, irgendwas mit Umwelt … Sie wissen schon, Greenpeace, genau.
     Dabei wollten wir in

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