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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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lachen Sie, Sir?« fragte der Barkeeper erstaunt.
    Na so was – er hatte gar nicht bemerkt, daß er über seine eigenen Gedanken gelacht hatte.
    »Ich hab gute Laune. Es gefällt mir bei Ihnen. Aber bitte keine Wasserpfeife. Lieber eine Schachtel Winston.«
    Der Barkeeper machte eine Verbeugung, brachte die Zigaretten und schnippte mit dem Feuerzeug. Vom ersten Zug wurde Denis schwindlig.
     Er hatte lange nichts gegessen, außerdem wirkte die Gehirnerschütterung noch nach. Ich werde mich zu Hause erst mal anständig
     auskurieren müssen, dachte er, drückte die Zigarette aus, lehnte sich in dem niedrigen Sofa mit Bergen von Kissen zurück und
     schlief unversehens ein.
    »Ihr Hummer, Sir!«
    Vor ihm auf dem Tisch stand eine Schüssel mit einer riesigen grellroten Krabbe. Dieses Ungeheuer zu verzehren war kompliziert
     und unbequem, obgleich man ihm einen Haufen spezieller, raffinierter Gabeln und Messer gebracht hatte. Das Fleisch war nüchtern,
     ein wenig trocken, erinnerte im Geschmack an zerkochtes altes Huhn und roch nach Algen. Er ließ das teure Monster unbewältigt
     liegen und bestellte ein Lammragout. Das schmeckte wirklich gut. Endlich war er satt, trank zwei Tassen starken türkischen
     Kaffee und rauchte nun in Ruhe und mit Genuß eine Zigarette.
    Die Nacht schlief er fest im Schnellzug Ankara–Antalya. Schon am nächsten Abend flog er mit einer Chartermaschine nach Moskau.
    In der Schlange vor der Paßkontrolle in Wnukowo brach ihm der Schweiß aus. Doch die Grenzsoldatin gab ihm seinen Paß wortlos
     zurück.
    Spätnachts war er zu Hause und weckte seinen Bruder mit einem langen, durchdringenden Klingeln.
    »Ich könnte dich umbringen!« schrie Anton, als er ihm öffnete. »Ich dreh hier total durch!«
    Denis umarmte seinen Bruder wortlos, dann ging er ins Bad, schüttete die schmutzigen Socken aus der Emailleschüssel unterm
     Waschbecken, warf den roten Paß hinein und schnippte mit dem Feuerzeug. Als der Paß zu Asche verbrannt war, legte er einen
     Haufen Hundertdollarscheine vor Anton auf den Tisch, setzte sich, zündete sich eine Zigarette an und erzählte, warum er fünf
     Tage später und ohne Schafpelze zurückkehrte.
    »Morgen früh gehst du zum Hautarzt«, sagte Anton, als Denis fertig war. »Womöglich hat deine Brunhilde dir eine Syphilis verehrt
     oder gar AIDS.«
    Zum Glück hatte Denis weder Syphilis noch AIDS. Doch die Gehirnerschütterung machte sich noch einen ganzen Monat lang durch
     Anfälle von Schwindel und Übelkeit bemerkbar.
    Das Foto des »süßen Bären« hoben sie auf. Wenn dieser Mann Denis auf dem Flughafen hatte erwarten sollen, war es besser, sie
     merkten sich sein Gesicht. Für alle Fälle.
     
    Nach seiner Rückkehr schlief Denis sich richtig aus und ließ sich einen Bart stehen. Er wuchs sehr schnell und veränderte
     sein Gesicht total.
    »Sie wissen nur, wie ich aussehe, sie haben ein Foto von mir«, sagte er.
    Drei Monate vergingen. Eines Abends saßen sie bei ihrerMutter und tranken Tee. In der Küche lief der Fernseher, ein Bericht aus der Türkei. Plötzlich sprang Denis auf wie von der
     Tarantel gestochen, warf seinen Hocker um und brüllte: »Das ist sie! Eindeutig, das ist sie!«
    Anton schaute auf den Bildschirm und sah, wie zwei Männer in Zivil eine stämmige Blondine in Handschellen von einem Auto zum
     Gerichtsgebäude führten.
    »Karolina Eriksson, eine schwedische Staatsbürgerin, lebte rund zwei Jahre in der türkischen Stadt Eski+ehir,« berichtete
     der Reporter. »Vor einer Woche wurde sie wegen des Verdachts auf Drogenhandel von Interpol-Mitarbeitern verhaftet und der
     türkischen Polizei übergeben. Mit ihr zusammen stehen zwei weitere Mitglieder der Bande vor Gericht, die türkischen Staatsbürger
     Ali Hussein Suwlihan und Achmed Maksud Lidcemi. Die schwedische Botschaft hat die türkische Regierung gebeten, Karolina Eriksson
     an die schwedischen Behörden auszuliefern. In der Türkei sind die Gesetze gegen Drogenhändler sehr streng, Eriksson droht
     die Todesstrafe …«
    Denis stieß einen gedämpften Siegesschrei aus und machte einen Luftsprung bis fast an die Decke.
    »Bist du verrückt geworden?« fragte die Mutter. »Was brüllst du so? Gleich kommen die Nachbarn angelaufen.«
    »Sie sieht nicht übel aus«, bemerkte Anton.
    »Von wem redet ihr beiden?« Die Mutter schaute zur Uhr und schaltete auf ein anderes Programm um. Dort sollte gleich eine
     alte Filmkomödie laufen.
    Denis ging ins Bad, sich den Bart abrasieren. Das

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