Keinesfalls Liebe (German Edition)
sehr wach für die Uhrzeit; bestimmt hatte ihre Schicht gerade begonnen und sie hatte bis eben geschlafen.
„Entschuldigung?“
Als ich mich vor den Tresen stellte, hatte mich das unangenehme, nicht definierbare Gefühl der Unruhe wieder.
„Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?“ Die junge Frau klang auch tatsächlich wach.
Nervös spielte ich wieder mit einem der goldenen Knöpfe. Auf einmal fühlte ich mich wie ein Prolet in diesem Mantel – er wirkte an mir sicherlich viel zu überbeladen, als wäre ich ein zeitreisender Adliger aus der Barockzeit. Lord Jo Müller, gestatten.
Wie machte Daniel das nur? Elegant und würdevoll aussehen, unantastbar in seinem ganzen Wesen? Ich erinnerte mich an seinen drohenden dunklen Blick und katapultierte mich selbst damit aus meinen eigenen Gedanken.
Mittlerweile ruhte auch der Blick der Schwester fragend auf mir.
„Ähm – mein Name ist Jonas Müller, ich bin wegen meinem Freund Carlos Fernandez hier. Er hatte einen Unfall.“
Die Frau nickte und schon sausten ihre Finger flink über die flache Tastatur eines weißen Notebooks. Alles war weiß und steril. Jetzt, da ich kurz davor stand schmerzende Details über Carlos’ Unfall herauszufinden, nahm ich auch den typischen Krankenhausgeruch war. Ich unterdrückte das Bedürfnis angewidert die Nase zu rümpfen, und wartete, bis die Frau Carlos gefunden hatte.
„Carlos Fernandez?“
„Genau. Er hatte einen Autounfall. Wissen Sie, wogegen er gefahren ist? Hydrant, Baum oder Straßenlaterne?“, fragte ich in dem jämmerlichen Versuch, einen Witz zu machen.
Die Schwester fand das wie erwartet gar nicht lustig, aber der Blick, mit dem sie mich bedachte, bestätigte das unheilvolle Gefühl in mir, etwas liefe gehörig falsch.
„Erstens weiß ich das nicht, und zweitens dürfte ich darüber keine Information geben.“
„Jo!“
Ich drehte mich in die Richtung des Rufs, vorsichtig, um mit dem aufkommenden Schwindel umgehen zu können, und erblickte Sean, der im nächsten Moment wie eine sehr, sehr müde Rakete aus dem Flur schoss und sich in meine Arme warf.
Ich hielt ihn ein bisschen fest, selbst ganz schwach vor Entsetzen, während er immer wieder etwas murmelte wie: „Gott, Carlos hat so viel Glück gehabt.“
„Und wie geht es ihm mittlerweile?“, fragte ich. Es war nicht mehr als ein Flüstern; Kälte und Schreck und Unglauben hatten mir die Stimme gestohlen.
„Ganz gut, den Umständen entsprechend.“ Sean schniefte, ließ mich los, wischte sich kurz mit der flachen Hand über die tränennassen Augen und Wangen und zog mich dann sanft in einen der Flure, bis vor eine der geschlossenen Türen. „Er ist ganz bei Bewusstsein. Hat nicht wirklich viel getrunken. Angeheitert … nicht nur wegen dem Alkohol. Er wirkt so … glücklich.“ Er schluchzte auf, nur einmal, aber hart. „Verdammte Scheiße.“
„Wie, glücklich?“ Ich packte ihn energisch an den Schultern und schüttelte ihn. „Verdammt, sag schon, und hör auf dich zu benehmen, als hättest du die Hauptrolle in einem Horrorfilm!“
„Ich glaub, ich bin es“, lachte er leise. Wieder schniefte er, wieder wischte er sich mit der Hand über Augen und Gesicht. „Das hat mir echt Angst gemacht.“
„Angst wovor?“
„Nein, nicht … diese Art von Angst. Angst davor, was kommen wird und was in … in Carlos vor sich geht.“
„Ich klatsch dir gleich eine, wenn du jetzt nicht in die Pötte kommst!“, zischte ich auf Deutsch.
Mit großen, ratlosen Augen starrte Sean mich an.
„Ich habe zwar keine Ahnung, was du gerade gesagt hast“, erwiderte er trocken, „aber ich schätze, es sollte heißen, du möchtest es wissen.“
„Richtig!“
„Also gut.“ Er holte tief Luft. „Carlos – er hat keine Erinnerungen an den Unfall, er weiß nicht, dass etwas passiert ist. Wir wollen damit warten, bis … es ihm besser geht. Bis er hier raus kann.“
„Sprich, Herrgott!“
Noch ein tiefes Luftholen.
„Carlos hat Ryans Bruder Paul angefahren. Er ist gestorben“, wisperte Sean mit so dünner Stimme, dass ich dachte, er würde jeden Moment erneut in Tränen ausbrechen.
Ein gewaltiges Zittern breitete sich in mir aus. Sämtliche Körperwärme schien durch ein Leck auszulaufen und ließ mich kalt und taub zurück.
Oh, Gott, Carlos. Ich hab dir gesagt, dass du dich der Liebe hingeben musst. Ich hab dir gesagt, es hat keinen Sinn. Oh, Gott. Es tut mir so leid für euch beide. Für euch beide.
Ich lauschte dem Echo meiner eigenen
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