Keinesfalls Liebe (German Edition)
Schreckliche ist: Sie weiß es nicht. Das Gute: Sie wird es nie erfahren. Es sei denn, du verrätst es ihr.
Ich hoffe, du wirst dich dagegen entscheiden.
Ich habe dich nämlich nicht nur gewählt, weil du dir unvoreingenommen etwas anhören und dir dann eine Meinung bilden kannst, sondern weil es dich nun auch am meisten betrifft. Wir hatten nächtliche Gespräche, die mich leider nicht zum Umdenken bringen konnten, mir aber viel bedeutet haben. Und du bist durch deine Schwärmerei für Daniel eng mit Ryan verbunden. Ich denke, du solltest in deiner neuen Rolle über unsere Geschichte Bescheid wissen. Ich vertraue darauf, dass du sie für dich behalten wirst, bis du einen geeigneten Zeitpunkt findest, um es den anderen zu sagen.
Du weißt alles, Jo. Dass ich Paul liebe und begehre. Dass ich Celine benutzt habe, um mich abzulenken, in der Hoffnung, ich könnte anfangen sie zu lieben – aber es hat nicht funktioniert. Jeden Tag in meinen Leben und jede Nacht und in jeder Sekunde spielt Paul die Hauptrolle.
Dann sah ich ihn in jener Nacht. Ich hatte dieses Verlangen, ihn zu küssen und wollte es bekämpfen, in dem ich ihm wieder mit unverhohlener Gewalt begegnete. Verdammt, ich hab ihn immer wieder geschlagen, vorher schon, und auch auf der Party, und da war ich nüchtern! Ich schäme mich so.
Ich sehe es noch genau vor mir: Ich raste in dieser grauenvollen Nacht auf ihn zu, sah, wie er mich sah, sein Entsetzen … und habe zu spät das Steuer herumgerissen. Jetzt weiß ich, was der erste Knall war. Man hat mir gesagt, ich sei so schnell auf ihn zugerast, dass jeder Knochen in seiner Hüfte brach und er auf dem Boden lag wie eine kaputte Marionette, mit einem Bein verdreht unter seinem Körper begraben. Gott, es tut so weh. Es macht mich fertig zu wissen, wie selten ich ihm meine Liebe gezeigt habe.
Ich leide so unbeschreiblich. Ich kann so nicht leben. Ich kann nicht ohne Paul leben! Deshalb bin ich auf der Flucht. Ich pilgere zu unserem Lieblingsplatz, tief in den Bergen, und dort werde ich mich erschießen. Das hier ist mein Abschiedsbrief. Ich hab dich wirklich sehr gemocht, Jo. Es war schön, dich kennengelernt zu haben.
Ich habe Paul immer mehr geliebt als alles andere. Warum ich es nicht ertragen konnte … ich weiß es selbst nicht mehr so genau. Ich weiß nur: Ich liebe Paul und Gott ist ein guter, liebender Gott und er wird uns verzeihen und uns in den Himmel holen und dort zusammen leben lassen.
Mein Tod bedeutet ein Wiedersehen mit Paul. Ich bin voller Freude. Ich habe keine Angst. Liebe ist göttlich – also auch jene, die ich empfinde. Es zerfrisst mich, dass ich weder Pauls Worten noch an Gottes Liebe geglaubt habe. Ich muss es wenigstens nicht mehr allzu lange ertragen.
Danke für deinen Versuch, Paul und mich zu retten. Aber nicht einmal Gott hat es geschafft. Ich glaube, er wollte einfach nicht. Er wollte, dass wir beide sterben und in Ruhe zusammen leben können, oben, im Himmel, unter seinem Schutz. Ich glaube, auf der Erde hätten Paul und ich es nicht geschafft.
Gott erhört nicht jedes Gebet. Ich bete, er möge die deinen immer erhören, Jo, ob du für mich betest, für jemand anderen oder für dich selbst. Ich wünsche es mir so sehr für dich. Dass Gott deine Gebete erhört und sanfter zu dir ist als zu mir, und dass du jede Sekunde deines Lebens genießt und vor jeder noch so kleinen Entscheidung gründlich nachdenkst – das ist mein letzter Wunsch. Bitte erfülle deinen Teil.
Lebe für mich, Jo. Und denk an mich, wenn du Spanisch sprichst oder von meinem Land hörst. Lebe für mich. Lebe für mich und für Paul.
Die liebsten Grüße,
Carlos
PS: Ich bitte dich darum, den Polizisten diesen Brief nicht zu zeigen. Wenn sie wissen, dass ich in den Bergen bin, werden sie mich einkreisen und ich komme nie von hier weg. Ich will einfach nur zu unserem Lieblingsplatz. Paul hat seinem Pflegevater davon erzählt. Er wird wissen, wohin ich will, und er hasst mich. Er hat mich schon immer gehasst, aber ich fühle es, ich fühle seine Blutgier, seine Mordlust. Er ist ein schrecklicher Mensch. Ich habe nie verstanden, wie er es geschafft hat, seine Söhne zu lieben. Er ist böse und er will mich töten.
Wenn es nicht Spanien ist, wo ich sterbe, dann muss es dieser Ort sein. Das ist der letzte meiner Wünsche, den ich dir dankbar und hoffnungsvoll auf die Schultern lade. Verzeih mir.
Heiße Tränen der Rührung und des Kummers schmerzten beinahe auf meinen Wangen. Doch ich wurde unsanft aus
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