Keinesfalls Liebe (German Edition)
meiner Trance gerissen.
„Mann, das nenne ich Drama!“, rief plötzlich hinter mir jemand.
Ich wirbelte herum; der Brief mitsamt Umschlag zerknüllte unbeabsichtigt in meiner Hand.
„Daniel!“
„Nein, der Heilige Geist“, seufzte er, zog sein Handy aus der Jeanstasche und begann herumzutippen.
„Geht’s noch? Man liest nicht einfach fremde Briefe!“
„Oh, liebster Jo, verzeih mir dieses schreckliche Verbrechen!“
„Hör auf mit dem Unsinn. Und was in aller Welt machst du da?“, fragte ich flüsternd.
Aus den grünen Schluchten sprangen mir kichernde Kobolde entgegen. Das Grinsen ging scheinbar bis zu beiden Ohren.
„Ich rufe meinen Vater an.“
In dieser Stadt, in diesem engeren Kreis, gab es fünf Liebende. Carlos, Ryan, Paul, Celine und mich. Nein, minus eins, denn Paul war wegen der Liebe gestorben. Vier Liebende in San Bernardino.
Und Daniel? Seine Gefühle?
Ich wusste es einfach nicht.
Wiedergutmachung
„Und was soll das bringen?“
„Ich hab dir kürzlich erzählt, dass mein Vater –“
„Anwalt ist!“, unterbrach ich ihn. „Ja, ich weiß. Was kann er denn ausrichten? Carlos ist auf der Flucht und wird sich töten, das hast du selbst gelesen.“ Unverschämterweise, ergänzte ich innerlich.
„Ja, ja. Carlos ist so ein Idiot“, sagte Daniel ungeduldig, dann spannte er sich auf einmal an. „Hallo Vater.“
Hallo Vater ? Anscheinend war ihr Verhältnis nicht besonders zärtlich oder persönlich.
„Ich habe einen Fall für dich“, sagte Daniel.
…
„Nein, ich scherze nicht!“
…
„Warum sollte ich dich anrufen, wenn es nichts Wichtiges ist?“
…
„Gut, alles geklärt. Ich würde gern zum Punkt kommen, wenn es dir recht ist!“, knurrte er sarkastisch.
…
„Es geht um Carlos Fernandez. Du hast davon gehört?“
…
„Perfekt. Er hat einen Anwalt abgelehnt, weil er dachte, ohnehin keine Chance zu haben. Er ist noch vor seiner Inhaftierung spurlos verschwunden.“
…
„Der kommt schon wieder zurück. Ich kenne ihn. Er ist feige.“
Diese Worte machten mich schrecklich wütend, aber ich presste die Lippen zusammen und schwieg eisern. Jeder Satz wäre einer zu viel.
Er wirkte unruhig und nervös, als er auf seinen Vater einredete: „Unsinn! Vater, du hast bisher keinen Fall verloren. Klar, dieses Mal gibt es nur Strafmilderung, aber immerhin. Ich bin mir sicher, dir würde das gelingen.“
Auf einmal lag ein triumphierendes Funkeln in Daniels Augen, von dem mir ganz übel wurde. Irgendetwas sagte mir, dass nichts so war, wie es gerade zu sein schien. Schon gar nicht Daniels vermeintliche Hilfe. Ich legte mir unbewusst eine Hand auf den rebellierenden Magen.
„Zufälle gibt’s! Na siehst du, Vater, das alles ergibt Sinn. Du hast schon so viele rausgehauen, also wirst du es auch mal bei einem Lebenslang- oder Todeskandidaten probieren können, hm?“
„Der Brief!“, rief ich geistesgegenwärtig. „Man könnte ein psychologisches Gutach–“
„SCHT!“
Ich zuckte zusammen, als Daniel mir so heftig ins Wort fuhr und mich wütend anfunkelte.
„Nein, Vater! Alles in Ordnung.“
…
„Ach, das ist niemand, nur mein One-Night-Stand für heute.“
…
„Grr, nein!“
…
Daniel seufzte tief. Er hatte, zumindest in meiner Gegenwart, noch nie dermaßen danach ausgesehen, als wollte er etwas um keinen Preis sagen. Er errötete sogar ein wenig. „Blond“, knurrte er.
…
„Ja, große Titten.“
„Höh?“, entwich es mir. Verwirrt fasste ich mir an die Brust – nein, definitiv keine großen … Brüste!
…
„Ja! Darum geht es nicht. Ja, ich habe verhütet, nein, das Kondom ist nicht gerissen, ich habe auch kein AIDS, alles wunderbar.“
…
Jetzt sah er grimmiger aus denn je, aber sein Vater schien etwas zu sagen, das ihn erfreute; seine Miene hellte sich ein wenig auf. „Gut, und danke.“
…
„Nein, ich schätze nicht. Wer lehnt einen Anwalt ab, der ihm dermaßen entgegen kommt? Es wird gut gehen, da bin ich mir sehr sicher.“
Wieder grinste er dieses unheimliche Grinsen.
…
„Alles klar! Viel Spaß!“, sagte er noch, dann legte er auf.
Und im nächsten Moment hatte er grob meinen Arm gepackt und mich so nah an sich herangezogen, dass sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Ängstlich starrte ich in die dunklen Dschungelschluchten.
„Den Brief gibst du mir“, flüsterte er eindringlich. „Ich werde ihn verbrennen. Kein Wort wirst du darüber verlieren. Kapiert?“
„Ich wusste es!“, schnaufte ich und versuchte halbherzig,
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