Keinesfalls Liebe (German Edition)
mich ihm zu entwinden, was natürlich nicht funktionierte und seinen Griff nur noch fester, geradezu schmerzhaft werden ließ. „Du willst mir nicht helfen. Du wolltest mir nie helfen. Du wirst niemandem helfen!“
„Falsch.“ Abrupt ließ er mich los, die Augen emotionslos und kalt an meine geheftet. „Ich tue dir gerade einen Gefallen.“
„Ja klar! Carlos’ Brief wäre perfekt für ein psychologisches Gutachten, das weiß sogar ich als Laie!“
„Du hast doch gerade gelesen, dass er das nicht will, Jo!“
„Er bringt sich gerade um , Mann!“
„Es wird ihm danach besser gehen, verdammt!“
„Das weiß ich! Und es tut mir weh! Vielleicht könnten wir ihm doch noch helfen …“
Schwer atmend starrte er mich einen Moment an, darauf wartend, dass ich aufgab, aber ich erwiderte furchtlos vor Zorn seinen Blick.
„Na gut“, schnauzte er ungehalten. „Ich mache es auch aus eigennützigen Gründen. Aber nicht nur!“
„ Warum? Sag es, ich hab keinen Bock mehr auf die ganze Scheiße hier!“
„WEIL!“, schrie er wie eine Furie. „Weil mein Vater mich damit nervt, dass er immer nur – immer nur Grey jagt! Er soll aufhören!“
„Und du denkst, er wird auf eine solche Finte tatsächlich eingehen?“, fragte ich spöttisch, ohne auf den Namen des Verbrechers einzugehen.
„Ja!“
„So dumm ist kein Anwalt!“, schnauzte ich ihn an.
Als er rasch auf mich zu trat, wich ich vor ihm zurück, doch er packte mich wieder.
„Dummheit spielt keine Rolle“, zischte Daniel leise. „Mein Vater liebt mich, deshalb bringt er sich in verdammte Gefahr! Dumme Leute werden nie Anwälte. Dumme Leute bringen aus Versehen jemanden um, dumme Leute haben Angst vor Schwulen, dumme Leute vergewaltigen junge Männer, dumme Leute prügeln ihre Kinder, dumme Leute sind zu feige, um die Wahrheit auszusprechen, dumme Leute suchen sich keine ordentliche Arbeit, dumme Leute lassen sich von anderen verbiegen, dumme Leute kümmern sich nicht um einen Studienplatz, dumme Leute entdecken ihr eigenes Talent nicht und verrotten im Suff!“
Ich war so erschrocken von seiner leidenschaftlichen Schimpftirade, dass ich ihn einfach nur anstarren konnte. Er atmete schwer, suchte in meinen Augen beinahe krampfhaft nach Widerspruch – aber er fand keinen, weil ich seine Meinung schlichtweg akzeptierte.
Und ich hatte gerade ein Stück seiner Seele gesehen. Aber nicht nur das war es, was ihn so atemlos machte, so wütend. Ich fühlte es. Nein, ich wusste es.
Ganz langsam wurde sein Atem ruhiger; das unkontrollierte Beben seines Körpers ebbte ab, bis wieder ein ganz normaler Mensch aus ihm wurde.
Trotzdem ging er wortlos davon – ohne etwas zu sagen.
„Ich gehe nicht mit dir in diesen Club“, schnaufte ich, empört darüber, dass er mich hier so stehen ließ.
Obwohl er drei Etagen über mir war, hörte ich wenige Momente später, wie er die Tür zuschlug.
Zum ersten Mal hielt ich mich an das, was ich Daniel an den Kopf geschmissen hatte. Ich sagte Celine und Sean, sie sollten auf keinen Fall auf Klopfen an der Tür reagieren, und mir nicht sagen und sich nicht anmerken lassen, falls jemand vorbei kam. ‚Jemand‘ – wer wohl?
Ich schloss mich in meinem Zimmer ein, zeichnete wild und ziellos und entschied, dass ich dringend nachdenken musste. Und zwar bewusst. Über Daniel, über Carlos, über das ganze Drama, wie Ersterer es so schön passend benannt hatte. Mir war ganz schwindelig vor Vermutungen über das Seelenleben anderer – und ich kannte mich gut genug, um zu wissen, was ich brauchte, damit mir der Kummer von der eigenen Seele purzelte.
Hassen konnte ich Daniel immer noch nicht, obwohl er mir den tödlichen Unfall verschwiegen hatte. Mein Herz lag in seinen Händen, und er ballte sie erbarmungslos zur Faust.
Meine Gedanken waren bei Paul. Das Unbekannte, Wichtige, das uns verband, schien angeschlagen, aber es war noch da. Ich spürte es als kleines, angenehmes Feuerchen in mir, irgendwo in der Nähe meines Herzens.
Etwas später klopfte es. Wir reagierten lange nicht.
Wir rührten uns erst, als jemand sagte: „Polizei! Öffnen Sie die Tür.“
Sean und Celine waren überrascht. Ich nicht. Haha. Ich zitterte, als ich aufmachte. Mir war schrecklich kalt.
Es waren die zwei Polizisten, die in Carlos’ Krankenzimmer aufgetaucht waren. Der Rotblonde war glatt rasiert und freundlich und sein Kollege entsprach dem Klischee eines US-amerikanischen Polizisten: Schnauzer und Bierbauch. Sie hielten mir einen waschechten
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