Keinesfalls Liebe (German Edition)
soll ich wieder kommen?“
Wieder einmal hatte ich Daniel überrascht. Ihm fielen fast die Augen aus den Höhlen.
„Ich – du – ng.“
„Ng? Interessantes Geräusch“, befand ich.
Völlig verdattert starrte Daniel mich an, den Kopf schief gelegt. „Du bist schon was Besonderes“, sagte er plötzlich, so als würde er nicht glauben, dass wir gerade ein ernsthaftes Gespräch führten. „Nächsten Freitag hätte ich Zeit. Kommst du mit in einen Schwulenclub, oder stört dich das?“
„Nein, das stört mich nicht. Und Daniel?“
Daniel blinzelte kurz. „Ja?“
„Kannst du mich wenigstens vorwarnen?“
„Vorwarnen – wie?“, fragte er tonlos, aber ich erkannte, dass er wusste, wovon ich sprach.
„Gib mir nur einen Hinweis“, bat ich flüsternd und intuitiv auf Deutsch, „damit Carlos’ Geständnis mich nicht aus den Latschen haut.“
Das war ein Test. Natürlich wusste ich, was Carlos und Paul verband und hatte von Carlos selbst gehört, was ihn zu dieser grauenhaften Tat getrieben hatte. Aber ich wollte wissen, wie Daniel reagierte. Ich musste es wissen.
„Nein, das geht nicht“, antwortete er auf Englisch und biss sich ertappt auf die Unterlippe, als er meinen erstaunten Blick bemerkte.
„Ach, so gut sprichst du meine Sprache. Du kennst dich sogar mit Dialekten aus.“
„Hmpfmm.“
Unruhig flackerte sein Blick von einer Ecke des Raumes zur anderen; ich hingegen schaute ihn einfach flehend an. Auf einmal erstarrte er, die Augen leicht zusammengekniffen auf das Schlafzimmer geheftet. Ohne hinzuschauen wusste ich, was er sah.
Ich schaute trotzdem hin.
Ryans Schönheit blendete mich, wie sein Bruder von Carlos’ Scheinwerfern geblendet worden war, und wieder sah ich unwillkommen den Körper vor mir, der von dem schwarzen Renault zermatscht und zerdrückt wurde. Ich erschauerte, während ich mir Mühe gab, nicht zwischen die Beine des nackten Engels zu schielen. Seine Augen forderten ohnehin meine ganze Aufmerksamkeit. In ihnen wütete ein kummer- und schmerzvoller Sturm – der nun durch mich verstärkt wurde.
„Was willst du hier!“ Es war keine Frage, sondern ein aggressives, forderndes Fauchen.
„Ich wollte nicht stören“, flüsterte ich, schon eilig auf dem Weg zur Tür. „Es tut mir so leid. So leid.“ Ich knallte die Tür zu, als könnte ich so heftiger die zwei Menschen hinter ihr von mir abtrennen. Ich beschloss mich auf die Suche nach der imaginären Nabelschnur zu machen, die mich unwiderruflich an Daniel Stewart kettete.
Der Brief war in meiner Umhängetasche, in der ich immer meinen Geldbeutel, einen Stift und einen Notizblock hatte. Ich entdeckte den Umschlag, auf dem in Carlos’ schwungvoller, fast liegender Schrift mein Name stand, als ich beim Einkaufen am nächsten Morgen zahlen wollte und fragte mich in einem plötzlichen Anflug von Panik, wann er hier gewesen war, verdrängte den Gedanken aber. Was auch immer in diesem Brief stand, es war wichtig. Und es würde mich aufwühlen. Ich wollte nicht der Nächste sein, der bei einem … Unfall … ums Leben kam, denn allein das Wissen um Carlos’ geschriebene Worte ließen mich abdriften. Ich musste mich auf die Straße konzentrieren.
Während ich ins Wohnheim lief, faltete ich langsam den Brief auf. Er war auf Spanisch, und ich war zum ersten Mal im Leben dankbar für meinen strengen Spanischlehrer, der uns im Unterricht regelrecht gedrillt hatte – mit dem Ergebnis, dass ich diese Sprache perfekt beherrschte.
Mein Gefühl hatte mich in dieser Stadt noch nie getäuscht, und auch jetzt kam es so schlimm wie erwartet. Wenn nicht schlimmer.
Jo,
tut mir leid, dass es auf diese Art und Weise geschehen muss. Aber ich bin einfach zu feige. Und ich schäme mich zu sehr dafür, dass ich mit Pauls Homosexualität nicht klargekommen bin. Und mit meiner eigenen. Dass auch ich schwul bin – davon wird die Polizei nie erfahren. Ich werde nicht vor Gericht aussagen. Ich habe mir keinen Anwalt genommen. Denn ich bin jetzt auf der Flucht. Ich bin kurz in der WG, um dir diesen Brief zu hinterlassen. Wenn du das liest, bin ich in den Bergen. Ich hab Essen und Trinken mitgenommen.
Mit der Schuld leben kann ich nicht. Ich hoffe, du kannst mir eines Tages verzeihen, dass ich dir die Bürde meines schlechten Gewissens übergeben habe. Aber ich habe Angst, dass Sean mich von sich stoßen könnte, so wie ich es mit ihm getan hätte. Wir sind so gute Freunde. Und Celine? Die gute Celine! Ich hab ihr viel zu viel angetan. Das
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