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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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Tor, vor dem der Lichtweg endete.
    „Wir sind angekommen“, sagte Conchúbar. „Ist das dein Bahnhof?“
    Der Junge nickte. „Siehst du die Schienen?“
    Conchúbar folgte seinem Fingerzeig. Die Schienen führten auf der einen Seite in das Gebäude hinein, aber er konnte nicht erkennen, ob sie irgendwo hinausführten. Dann tönte wieder das Pfeifen und eine Rauchwolke quoll über den Bäumen hervor, die nicht allzu weit entfernt die Schienen verdeckten. Und die Wolke näherte sich.
    „Der Zug kommt“, flüsterte der Junge.
    „Dann wird es wohl Zeit für dich, zu gehen.“
    „Ja.“
    Noch immer standen sie nur da, hielten sich bei den Händen und sahen dem Zug entgegen, der nun hinter den Bäumen hervor kam, noch einmal sein Pfeifen ertönen ließ, bevor er die Fahrt verlangsamte und in den Bahnhof einfuhr.
    Wie ein Ungetüm kam Conchúbar das Gefährt vor, wie es dampfte und pfiff und über die Schienen ratterte. Groß und bedrohlich. Und lebendig. Das war kein gutes Gefährt. Und wie er gewusst hatte, dass er das Mädchen zum Turm bringen musste, wusste er, dass der Junge nicht in dieses Monstrum steigen durfte. Es würde ihn verschlucken und nicht einmal seine Knochen wieder ausspucken.
    Auch der Junge wirkte unsicher, er sah auf, studierte Conchúbars Gesichtszüge, die scharfen Zähne, die feste Haut, die Wind und Sonne trotzen konnte. „Könnte ich …“, sagte er, aber ein schriller Pfiff schnitt ihm die Worte ab. „Ich muss gehen, das war das Zeichen zur Abfahrt.“ Langsam, fast vorsichtig löste er seine Hand aus Conchúbars Hand und machte einige unsichere Schritte auf den Bahnhof zu.
    „Wo führt er hin, dein Zug?“, rief Conchúbar ihm nach und der Junge blieb stehen und hob die Schultern.
    Dann drehte er sich um. „Er hat mich hergebracht, also wird er mich auch zurückbringen.“ Es klang eher wie eine Frage, nicht wie eine Feststellung.
    „Wohin zurück?“
    Wieder zuckte der Junge mit den Schultern. In seinen Augen blitzten Tränen auf.
    „Wenn du das Ziel nicht kennst, solltest du nicht einsteigen.“
    „Aber ich muss doch …“
    Mit zwei langen Schritten hatte Conchúbar den Jungen erreicht. Er ging in die Knie und legte ihm eine Hand auf die Schulter, sah im fest in die Augen. „Du musst tun, was dir bestimmt ist.“
    „Aber woher weiß ich, was das ist?“
    „Du weißt es.“ Conchúbar legte die Hand auf die Brust des Jungen. Er spürte sein Herz aufgeregt gegen seine Handfläche pochen. „Dort drinnen weißt du es.“
    Zwei schrille Pfiffe drangen aus dem Gebäude, doch der Junge schloss die Augen, atmete tief ein und aus. Seine Lippen zitterten wie seine Hände, die sich ineinander krallten. „Kann ich bei dir bleiben?“, fragte er dann und hielt den Atem an.
    „Du hast deine Wahl getroffen. Wenn das deine Bestimmung ist, so soll es auch meine sein.“
    Ungestüm schlang der Junge die Arme um Conchúbars Hüften und drückte sein Gesicht an seinen Bauch.
    „Da wir nun Gefährten sind, sollte ich wohl deinen Namen kennen und du meinen. Ich bin Conchúbar Jahim, dessen Bestimmung es ist, in den Traumländern zu jagen.“
    Der Junge wischte sich über die Augen und sagte: „Ich habe keinen Namen.“
    „Jeder braucht einen Namen, bei dem er gerufen wird, an den sich sein Volk erinnern kann.“ Als der Junge den Kopf senkte und er sah, dass seine Schultern zuckten, strich er mit der Hand über seinen Kopf. „Dein Haar hat die Farbe von Haselnüssen. Nut. Das ist ein guter Name. Nut, dessen Bestimmung es ist, Conchúbar durch die Traumländer zu begleiten.“
    „Nut“, wiederholte der Junge. „Das klingt nach einem Namen für eine Maus.“
    „Nun, ich für meinen Teil mag Mäuse, sie schmecken vorzüglich und sind eine nahrhafte Zwischenmahlzeit.“
    Der Junge lachte und ergriff Conchúbars Hand. „Ich werde mich schon an den Namen gewöhnen.“
    Ein Knall, laut wie ein Donnerschlag, ließ die beiden zusammenzucken. Rauch drang aus dem Bahnhofsgebäude, es folgte eine Explosion und Conchúbar warf sich schützend auf den Jungen und das Mädchen. Steinsplitter prasselten auf seinen Rücken wie Hagelkörner, dichte Qualmwolken nahmen ihm die Sicht. Dann kehrte die Stille zurück und er befürchtete, dass ihn Nichts erwartete, sobald sich der Rauch verzogen hatte. Aber als sich die Sicht klärte, blickte er auf ein weißgetünchtes hohes Holztor, das in einen noch weißeren Turm führte, den ein Regenbogen überragte.

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