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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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ein Traum war, was ist das jetzt?
    Weißt du was?, fragt sie und sieht mich mit ihren blauen Augen an. Das ist mir egal. Es fühlt sich echt an, also ist es das auch.
    Sie hat recht. Also, sage ich. Was machen wir jetzt? Einfach loslaufen?
    Sie deutet auf das Sandmeer. Siehst du das?
    Ich lege die Hand an die Stirn und kneife die Augen zusammen. Die Wellen, sage ich, und etwas von der Schwere kehrt zurück. Aber nur solange, bis sie meine Hand in ihre nimmt.
    Die Wellen haben etwas zu bedeuten, sagt sie. Meine - die Leute, bei denen ich gewohnt habe, bevor ich in den Zug gestiegen bin, haben sie nicht gesehen. Warum nicht?
    Sie haben nichts gesehen, gar nichts. Und sie haben nichts verstanden. Glaubst du, dass die Albe uns sehen können?
    Sie zuckt mit den Schultern. Ich glaube nicht. Ist das wichtig?
    Meine Blicke kleben an ihren Lippen. Der Wind bläst ihr eine Strähne ins Gesicht. Sie streicht sie langsam hinter das Ohr. Nein, sage ich, nicht wichtig.
    Sie lacht und ich weiß genau, dass sie mich versteht. Wollen wir?, fragt sie.
    Ja.

Dr. Stein
    Mittlerweile leben 76 Kinder auf dem Testgelände. Professor Ruben hatte die Testreihe für 100 Probanden ausgelegt, aber wir haben trotzdem begonnen. Das sieht ihm nicht ähnlich, aber die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass Dr. Kalinin an etwas ganz Ähnlichem arbeitet. Dem Professor rennt die Zeit davon. Aber 76 Testpersonen sollten auch genügen, um zuverlässige Ergebnisse zu liefern.
    Wenn wir unsere Thesen untermauern können, spielt es keine Rolle mehr, wie viele Personen an den Tests teilgenommen haben. Dann bekommen wir alle Zeit der Welt, um die Forschungsreihe fortzusetzen. Zeit und Geld. Die Regierung ist an der Forschungsreihe interessiert, und private Unternehmen werden ein Vermögen investieren, um beteiligt zu werden.
    Wir werden Geschichte schreiben. Ich bin so aufgeregt wie noch nie zuvor.
    Die Probanden werden rund um die Uhr überwacht. Das gesamte Gelände ist mit Kameras ausgestattet, selbst die sanitären Anlagen. Auch die der Ärzte. Ich komme mir selbst manchmal vor wie ein Proband, kein Schritt außerhalb der Kontrolle des Professors.
    Ich bin für die Überwachung der Medikamentation zuständig und verabreiche die täglichen Dosen selbst. Die Anzahl der Krankenschwestern ist auf ein unbedingt notwendiges Minimum begrenzt und niemand darf für die Dauer der ersten Testphase das Gelände verlassen. Keine Anrufe, kein Internet, keine Briefe, keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Ich wüsste sowieso nicht, wen ich anrufen sollte, und sechs Monate sind keine lange Zeit.
    Die Kinder sind sehr verstört, kein Wunder, aber keines von ihnen hinterfragt die Situation, sie finden sich mit den neuen Lebensumständen ab, als hätten sie nichts anderes erwartet. Das ist mehr als ungewöhnlich, aber unserer Sache natürlich dienlich.
    Für morgen früh sind zwei Neuzugänge angekündigt, sie weisen die gleichen Symptome wie die anderen auf. Übersteigerte Lichtempfindlichkeit, Angstzustände; einer der beiden wurde schon mehrfach gewalttätig, hat einen Mitschüler schwer verprügelt und seine Mutter mit einem Küchenmesser verletzt. Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, zuerst die Ursache der Verhaltensauffälligkeiten zu untersuchen, bevor wir uns mit den Symptomen beschäftigen, aber Professor Ruben ist der Meinung, dass wir den Ursachen auch so auf die Spur kommen. Quasi als Abfallprodukt der Testreihe.
    Ich teile seine Meinung nur bedingt, aber er ist der Spezialist auf diesem Gebiet. Wer bin ich, seine Meinung anzuzweifeln?
    Ich bin so voller Energie, ich muss mich zu den vorgeschriebenen Ruhepausen zwingen. Professor Ruben achtet penibel darauf, dass wir genügend schlafen und lässt selbst unsere Schlafphasen überwachen und die Gehirnaktivitäten aufzeichnen. Er verschwendet wirklich kein Potential. Vielleicht ist es das, was ihn so erfolgreich macht.

Erin
    Johanna. Ich muss mich an den Namen erst gewöhnen, aber er passt zu ihr. Je weiter wir gehen, desto kraftvoller werden ihre Schritte. Ich fühle mich auch besser. Wacher. Es ist, als hätte irgendwas uns die Kraft abgesaugt und jetzt kehrt sie zurück. Ich glaube, dass ich alles schaffen kann, wenn ich nur fest daran glaube. Und ich glaube.
    Die Sonne steht immer noch über dem Plateau, auf dem die Albe die Räder drehen. Sie bewegt sich nicht, bleibt wie angenagelt an ihrem Platz. Wir sind schon ein ganzes Stück gelaufen, aber ich kann die Zeit nicht bestimmen. Denkst du,

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