Keinmaerchen
und zerbrechlich.
Das macht nichts, sage ich. Namen sind nicht wichtig.
Doch, sagt sie und geht weiter.
Vor der großen Feuertür bleiben wir stehen. Ich kann die Räder knirschen hören, selbst durch die schwere Eisentür. Dann such dir einen aus, sage ich.
Sie legt die Hand auf die Klinke und atmet tief ein und aus. Beim zweiten Ausatmen sagt sie: Johanna.
Wie die Jungfrau von Orleans?
Bach, sagt sie. Irgendwann werde ich seine Cello-Suiten auf der Piazza San Marco spielen, inmitten von tausend Tauben. Sie lacht und ich lache auch, obwohl ich keine Ahnung habe, wovon sie redet. Die Räder knirschen und das Lachen gefriert auf unseren Gesichtern. Irgendwann. Irgendwann gibt es nicht. Nicht hier.
Ich nicke ihr zu und sie öffnet die Tür.
Ich mache einen Schritt rückwärts und presse mein Gesicht in meine Armbeuge, als die Farben mir heiß ins Gesicht schlagen. Ich spüre ihre Hand - Johannas Hand auf meiner Schulter. Leicht und zittrig wie ein kleiner Vogel. Wir können noch zurück, sagt sie. Wir müssen nicht da rausgehen.
Er lacht sein fiesestes Lachen. Wo wollt ihr hin?, fragt er. Raus? Er krabbelt an meinem Bein hoch und setzt sich auf die andere Schulter. Hast du sie angesehen? Seine Stimme ganz dicht an meinem Ohr.
Ich habe sie angesehen, oh ja, das habe ich. Ihre dunkle Haut ist mit einem glänzend violetten Schimmer überzogen. Die Augen glühen wie Rubine. Die Flügel liegen gefaltet auf dem Rücken, aber man kann sehen, wie stark sie sind. Mit einem Flügelschlag könnten sie einen Orkan entstehen lassen.
Mach die Tür zu, sagt er. Mach die Tür zu und ich vergesse euren dummen Ausflug.
Johanna drückt meine Schulter, ihre Nägel tun weh. Du kannst uns vergessen, wenn wir die Tür von der anderen Seite aus geschlossen haben, sagt sie. Hau ab, du kleiner Pisser. Und dann schnippt sie ihn von meiner Schulter. Ich höre seinen Körper an die Wand hinter mir klatschen und auf den Boden fallen.
Komm, sagt sie, nimmt meine Hand und wir machen den Schritt durch die Tür gemeinsam.
Ich drücke ihre Finger so fest, dass sie aufstöhnt. Die Farben, sage ich. Hast du gewusst, dass Blau so blau sein kann? Erst jetzt wird mir klar, was ich sehe. Blauer Himmel, der durch die Zimmerdecke schimmert. Und eine zweifarbige Sonne. Blau und rot. Mir wird schwindelig. Wir stehen in einem riesigen Kellerraum, dessen Wände keine Wände sind, auf purpurfarbenem Sand, der von einer Sonne erhitzt wird, wie ich sie noch nie gesehen habe. Wo sind wir?
Ich weiß nicht, sagt sie. Aber er kann uns nicht folgen. Sie deutet mit dem Daumen auf die Tür hinter uns. Oder dorthin, wo die Tür sein sollte. Da ist keine Tür, nur das Abbild einer Tür, das wie eine Fata Morgana in der Hitze flimmert.
Denkst du, sie lässt sich noch öffnen?, frage ich und strecke vorsichtig meine Hand aus. Als sie in der Nähe des Türgriffs ist, beginnt sie genauso zu flimmern und ich ziehe sie zurück.
Willst du das denn? Wieder nach drüben?
Nein, das will ich nicht. Aber hier möchte ich auch nicht sein. Mein Gehirn rebelliert gegen die Bilder, die meine Augen ihm senden, und mein Magen rebelliert auch. Ich atme ein paarmal tief ein und aus und muss lachen. Bewusstes Atmen, sage ich, das soll gegen fast alles helfen.
Du hast es auch bemerkt, sagt sie, nicht?
Ich weiß, was sie meint. Es ist, als wäre ich leichter geworden. Dort drinnen, im Weiß, war alles schwer. Das Aufstehen, Gehen, Sprechen, Essen, Trinken. Jetzt fühlt es sich an, als könnte ich fliegen, wenn ich nur die Arme ausbreite und fest genug daran glaube.
Es war die Angst, sagt sie. Sie schließt die Augen und steht ganz still, das Gesicht in der Sonne. Hätte ich vorher schon gewusst, wie schön sie ist, ich hätte nie wieder irgendetwas anderes angesehen. Ich habe noch nie so rotes Haar gesehen. Sie sieht immer noch müde aus, die Augen liegen in tiefen dunklen Höhlen, aber ihre Haut ist nicht mehr so weiß und sieht real aus. Ich strecke meine Hand aus und berühre ihre Wange mit den Fingerspitzen. Sie ist ganz warm von der Sonne. Und weich.
Haben wir geträumt?, fragt sie, ohne die Augen zu öffnen. War das alles ein Traum?
Ich sehe die durchlässigen Wände an, das Sandmeer dahinter, den wolkenlosen Himmel, die unbekannte Sonne. Die Albe, die auf einem Plateau die Räder drehen. Die Plattform ist rund und schwebt mehrere Meter über dem Boden. Ich kann nicht erkennen, aus welchem Material sie besteht, aber das ist auch egal. Sie schwebt. Wenn das dort drinnen
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