Keinmaerchen
es gibt hier eine Nacht?, frage ich.
Ich weiß nicht, sagt sie. Sie bleibt stehen, dreht sich um und legt die Hand an die Stirn. Sie beobachtet die Albe. Sie sind schön. Ich habe noch nie etwas so Schönes gesehen.
Ihr Haar schimmert im Licht der zweifarbigen Sonne wie Seide. Ich auch nicht, sage ich.
Das Sandmeer ist von einem Gebirge aus purpurfarbenem Stein eingeschlossen. Alles hier ist unglaublich schön, sage ich, still und friedlich. Ich wünschte, wir könnten hierbleiben.
Ja, sagt sie. Und dann lächelt sie auf eine Weise, dass mir die Brust weh tut, bevor sie den Kopf schüttelt. Was ist mit den anderen? Nicht nur die, die mit uns im Weiß waren. Es gibt sicher noch viele, die die Wellen sehen können. Und sie haben genauso viel Angst wie wir. Hatten, sagt sie nach einer kleinen Pause.
Vermisst du dein Cello?
Ja, aber nicht das, was ich damit geschaffen habe.
Ich besorg dir ein neues, sage ich, wenn wir … Was eigentlich? Hier raus sind, wollte ich sagen, aber ich will nicht hier raus. Ich mag die Stille. Und vor allem die Farben. Sie sind weich und warm und fühlen sich einfach gut an.
Sie deutet auf eine Stelle, etwas rechts von den Wellen. Siehst du das?
Nein. Ich kneife die Augen zusammen. Doch. Da ist etwas. Eine Insel?
Wir sollten sehen, ob wir etwas zu trinken mitnehmen können, bevor wir weitergehen.
Ich habe keinen Durst. Das ist komisch, bei der Hitze und allem, nicht?
Ja, sagt sie. Aber wer weiß, was in den Wellen ist?
Wer weiß. Ich weiß nicht, ob ich es wissen will, aber ich weiß noch genau, wie es sich gestern angefühlt hat, als ich noch Angst hatte. Immer und immer. Niemand sollte solche Angst haben. Und es gibt sicher noch viele wie uns. Wir müssen in die Wellen, ich wüsste nicht, wo wir sonst anfangen sollten.
Sie ist schon losgelaufen und sie hat ihre Schuhe ausgezogen. Ihre Füße wirbeln den Sand auf. Als ich sie eingeholt habe, sind wir schon fast bei der Insel.
Ich greife ihre Hand und halte sie fest. Sie stolpert und wir fallen in den Sand. Wir bleiben auf dem Rücken liegen und sehen in den Himmel. Das schönste Blau, das ich je gesehen habe. Ich glaube, ich hatte vergessen, was es bedeutet, lebendig zu sein.
Vielleicht waren wir das auch noch nie, sagt sie. Vorher. Gestern. Da war alles falsch, oder? So hat es sich immer angefühlt. Falsch und unecht. Selbst die Angst hat sich nicht echt angefühlt.
Aber sie war echt, sage ich. Und er auch. Denkst du, er folgt uns?
Das kann er nicht.
Ich weiß nicht warum, aber ich weiß, dass sie recht hat. Wasserplätschern. Wo kommt das her?
Sie dreht sich auf den Bauch und steht auf. Da, sagt sie.
Erst jetzt sehe ich mir die Insel genauer an. Grün, in allen Schattierungen. In der Mitte ein See, mit dunkelblauem Wasser. Der Wasserfall entspringt auf einer Plattform, die so aussieht wie die, auf der die Albe waren. Nur nicht so groß. Sie schwebt über dem Wasser. Nein, schweben ist nicht richtig. Sie ist einfach da. Sie wirft keinen Schatten, sage ich. Siehst du? Also hier auch nicht. Gibt es die Schatten nur gestern? Johanna?
Sie geht zu den Bäumen, die um den See herum wachsen, und berührt die geschlossenen Blüten. Gelb und rot, violett und weiß. Es ist ein gutes Weiß, das nicht in den Augen wehtut. Die Äste wachsen bis auf den Boden. Sie teilt sie und verschwindet im Bunt.
Ich frage mich, wie die Plattform dort oben bleibt. Das ist unmöglich. Das Licht verändert sich, der purpurne Schimmer verändert sich, die Farbe des Sandes verändert sich. Die Temperatur sinkt. Rasend schnell. Mir ist so kalt und es wird immer kälter. Die zweifarbige Sonne sinkt. Sie steht jetzt direkt hinter der großen Plattform, die Albe zeichnen sich vor ihr ab wie Scherenschnitte. Ich kann nicht aufhören, mit den Zähnen zu klappern und ich kann nicht aufhören, die Albe anzusehen. Sie sind so schön, dass es wehtut.
Dann beginnen die Bäume zu flüstern, als ob Wind durch ihre Blätter fegt, aber da ist kein Wind. Und die Blüten öffnen sich. Ich sinke auf die Knie und grabe meine Hände in den Sand. Ich kann die Töne sehen. Kann sehen, wie sie sich aus dem Inneren der Blüten lösen und um die Bäume flattern wie Schmetterlinge.
Und dann ist es dunkel.
Ich warte auf die Angst, aber ich fühle mich merkwürdig sicher im Dunkel. Es ist keine dieser schwarzen Nächte, wie ich sie gestern oft erlebt habe. Voller Schatten und lauter Stimmen. Ein dunkles Blau hat sich über das Sandmeer gebreitet, wie ein Baldachin. Ein
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